: Adrian Geiges
: Öfter mal die Welt wechseln Wie ich in die Ferne zog und immer wieder ein neues Leben fand
: Piper Verlag
: 9783492603454
: 1
: CHF 15.50
:
: Gesellschaft
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Viele träumen davon, ganz neu anzufangen, in exotischer Natur zu leben oder in einer aufregenden Metropole zu arbeiten. Adrian Geiges ermutigt dazu. Sein Leben gleicht einer Abenteuerreise. Er zog in die Sowjetunion, erlebte mit, wie sie zusammenbrach und das neue Russland entstand. Bürger von New York war er ebenso wie Bürger von Hongkong. Er wirkte als Topmanager in Shanghai und wohnte in einer Favela von Rio de Janeiro. In diesem Buch zeigt er, wie Leben im Ausland bereichert. Er gibt all jenen Inspiration und Rat, die selbst in die Welt aufbrechen wollen.

Adrian Geiges, 1960 in Basel geboren, berichtete als Fernsehkorrespondent aus Moskau, Hongkong, New York und Rio de Janeiro. In Shanghai leitete er die Tochterfirma eines großen deutschen Unternehmens. Dann war er viele Jahre Peking-Korrespondent des »Stern«. Er hat Chinesisch studiert, ist mit einer Chinesin verheiratet, sie haben zweisprachig aufwachsende Töchter und leben heute in Hamburg. Er ist Autor zahlreicher Bücher.

Der Sinn des Lebens


Sammeln von spannenden Erfahrungen

Wir Menschen sind Abenteurer. Wir wollen Neues sehen, hören, riechen und spüren. Das lässt sich schon bei Babys und Kleinkindern beobachten. Sie klettern auf jede Erhöhung, nehmen alles in die Hand und stecken es in den Mund. Die Erwachsenen aber versuchen sie zu bremsen, und im späteren Leben wird uns erklärt: »Es ist besser, brav in die Schule zu gehen, als irgendwohin auszubüxen.« »Wer zu oft den Arbeitsplatz wechselt, schadet seiner Karriere.« »Überall lauern Gefahren!« Und so vergessen viele die Träume ihrer Jugend und machen jahrzehntelang das Gleiche. Dieselbe Arbeit, die sie nicht befriedigt. Sie wohnen am selben Ort und treffen immer dieselben Leute.

Nun denke ich grundsätzlich: Jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden. Wer die Stabilität liebt, darf gerne so leben. Aber den meisten reicht das nicht. Sie versuchen abends und am Wochenende aus ihrem Alltag auszubrechen, indem sie exzentrischen Hobbys nachgehen oder wilde Klubs besuchen. Und sie freuen sich das ganze Jahr auf ein paar Wochen Urlaub – und das halbe Leben auf die Rente, in der sie nachzuholen versuchen, was sie bis dahin versäumt haben.

Meine Erfahrung ist: Es besteht kein Grund, so lange zu warten. Ich habe mich entschieden, mein ganzes Leben zum Abenteuer zu machen. Diese Erfahrung möchte ich in diesem Buch mit dir teilen. Zugegeben, ich bin da vielleicht etwas extrem. Als mich meine Mutter in den Sandkasten schickte, entgegnete ich: Da war ich schon mal. Später habe ich immer nach vier, fünf Jahren den Arbeitsplatz gewechselt, bin in ein anderes Land gegangen oder beides zusammen. So weit muss man es nicht treiben. Ein bisschen davon würde aber, denke ich, den meisten guttun. Gäbe es ein solches Bedürfnis nicht, würden die Deutschen nicht 70 Millionen Urlaubsreisen im Jahr buchen, wenn nicht gerade Corona ist. Und das gilt keineswegs nur für uns Deutsche, die selbst ernannten Urlaubsweltmeister. Bei den Chinesen beispielsweise stieg die Zahl der Auslandsreisen von 20 Millionen im Jahr 2003 auf 134 Millionen im Jahr 2019. Da sind die vielen Reisen innerhalb Chinas noch gar nicht mitgerechnet, dabei ist das ein großes Land mit unterschiedlichen Kulturen und Klimazonen.

Ich bin Journalist, da lernt man schon von Berufs wegen jeden Tag neue Menschen und Orte kennen. Reisen werden im Normalfall von den Arbeit- oder Auftraggebern bezahlt. Und in den meisten Ländern sind Korrespondentenvisa leichter zu bekommen als andere Arbeitsvisa, da Korrespondenten für Medien in ihrem jeweiligen Heimatland berichten und daher den Einheimischen nicht die Arbeitsplätze wegnehmen. All das sind Gründe, die mich dazu bewegt haben, diesen Beruf zu wählen.

Aber auch Angehörige anderer Branchen können die Welt wechseln. In allen Ländern, in denen ich lebte, lernte ich Unternehmensberaterinnen und Handwerker kennen, Restaurantbesitzer und Fotografinnen, die sich entschlossen haben, in der Fremde zu arbeiten, weil sie es interessant finden, der lockeren Mentalität oder des sonnigen Wetters wegen. Auch in scheinbar geregelten Berufen ist das möglich. Meine Tochter besuchte die deutsche Schule in Peking. Lehrer können für einige Jahre in einer der deutschen Auslandsschulen unterrichten, ohne ihren Beamtenstatus in Deutschland zu verlieren. Eine prima Chance, aus dem Alltagstrott auszusteigen, in diesem Fall sogar völlig risikofrei. Umso erstaunlicher: Es fällt schwer, die Stellen zu besetzen, weil sich nicht genügend Bewerber melden.

Oft fühlen wir uns von Zwängen eingeengt und fragen uns: Passt das in meine Karriereplanung? Doch wozu soll die Karriere dienen? Worin besteht der Sinn des Lebens? Für mich im Sammeln von spannenden Erfahrungen. Nun mag man entgegnen: Leichter gesagt als getan, schließlich müssen wir unsere Kinder versorgen und die Miete bezahlen. Das ist richtig, aber mein Lebenslauf zeigt: Wenn man das verwirklicht, was einen erfüllt, wenn man etwa Sprachen lernt und in fremde Länder zieht, ist das auch für die Karriere hilfreich.

Meist sind es eingefahrene Gewohnheiten und Angst vor dem Unbekannten, die uns davon abhalten. Dabei ist ein Ausstieg aus dem Alltag, etwa eine Weltreise, einfacher, als man denkt. Davon zeugt auch das Beispiel meiner Kollegin Meike Winnemuth. Ich lernte sie kennen, als sie zur Chefredaktion vonPark Avenue gehörte, einer damaligen Zeitschrift von Gruner + Jahr. Ich war China-Korrespondent desStern, der ebenfalls in diesem Verlagshaus erscheint. So beauftragte sie mich mit einer Reportage zum Thema »Young Hot China« über junge, aufregende chinesische Talente, von der Schriftstellerin bis zum Rockmusiker. Später gewann Winnemuth bei Günther Jauch eine halbe Million. Sie wollte sie nutzen, um ein Jahr lang in zwölf verschiedenen Städten zu leben, in denen sie jeweils für einen Monat eine Wohnung mietete: Sydney, Buenos Aires, Mumbai, Shanghai, Honolulu, San Francisco, London, Kopenhagen, Barcelona, Tel Aviv, Addis Abeba und Havanna. Am Ende merkte sie: Sie hatte den Gewinn vonWer wird Millionär? gar nicht gebraucht! Die Honorare für Artikel, die sie über diese Städte schrieb, reichten aus, um ihre einjährige Weltreise zu finanzieren.

Nun magst du einwenden: Meike Winnemuth hatte damals schon eine gewisse Bekanntheit und gute Kontakte, es ist nicht für jeden so einfach. Doch auch sie hat einmal irgendwo begonnen. Das gilt natürlich auch für mich, und deshalb werde ich meine Geschichte von Anfang an erzählen. Es stimmt, bei Reisen um die Welt und der Arbeit in anderen Ländern sind Hindernisse zu überwinden. Aber die Mühen werden dir mit Glück vergolten. Wie der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt sagte: »Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst.«

Der Wunsch, aus dem Alltagstrott auszubrechen und in die Ferne zu ziehen, wird bei mir schon in der Kindheit geweckt, durch die BücherJim Knopf und Lukas der Lokomotivführer undJim Knopf und die Wilde 13 des Schriftstellers Michael Ende. Weil es auf der kleinen Insel Lummerland zu eng geworden ist, fahren der schwarze Junge Jim Knopf und der weiße Lokomotivführer Lukas mit seiner Dampflok Emma in die Welt hinaus und erleben dabei die verrücktesten Abenteuer. Sie schaffen es bis nach China, wo bunte Bäume wachsen, Brücken aus Porzellan das Wasser überspannen und Glöckchen aus Silber läuten. Im Muff der damaligen Bundesrepublik beschuldigten Rezensenten Michael Ende, »Opium für Kinder« zu schreiben. Statt sie auf den Ernst des Lebens vorzubereiten, würden sie hier zur Fantasterei verführt (genau, ich bin ein Beispiel dafür!). Das konnte aber den Erfolg der Bücher nicht aufhalten und verhinderte auch nicht die Verfilmung durch die Augsburger Puppenkiste.

Als ich etwas älter bin, lese ich das WerkReise um die Erde in 80 Tagen des französischen Schriftstellers Jules Verne, inspiriert übrigens durch eine wahre Geschichte, nämlich die des US-Amerikaners George Francis Train. Der fuhr tatsächlich, vor der Erfindung des Flugzeugs, mit Schiffen und Zügen in genau 80 Tagen um die Welt. Wer war dieser Mann? Das lässt sich nicht in einem Satz zusammenfassen, denn er hat in seinem Leben dies und das getan. Er arbeitete als Kaufmann in Chicago und ging dann nach Australien. Er startete in London eine Straßenbahn, die von Pferden gezogen wurde – dem Unternehmen war allerdings kein Erfolg vergönnt. Er nahm am Amerikanischen Bürgerkrieg teil, klugerweise nicht mit der Waffe in der Hand, sondern indem er in England und Irland Vorträge hielt, in denen er die Position der Nordstaaten erläuterte. In den USA gründete er dann eine Eisenbahngesellschaft, diesmal mit Erfolg. Das Geld, das er damit gewann, investierte er als Reeder in die Schifffahrt. Gleichzeitig war er Schriftsteller und schrieb elf Bücher. Er kandidierte als US-Präsident, erfolglos, wobei er gleichzeitig behauptete, australische Revolutionäre hätten ihm die Präsidentschaft einer noch zu gründenden australischen Republik angetragen. Auch hat er sich einen Namen als Frauenrechtler gemacht und wurde, weil er die aufkommende Frauenbewegung unterstützte, sogar inhaftiert. Er finanzierte die ZeitschriftDie Revolution, ein wichtiges Blatt der damaligen Frauenbewegung. Kurzum – dieser Mann ist ein echtes Vorbild!

Auch bei mir mischt sich der Drang, die Welt kennenzulernen, in meinem weiteren Leben zunehmend mit dem Wunsch, die Welt zu verändern. Zu meiner neuen Lektüre gehören die ...