Mein Dad hilft mir, mich an einem heißen Sommertag in der South Side von Chicago abzukühlen.
Mit freundlicher Genehmigung des Obama-Robinson Family Archive
Einführung
Eines Tages, ich war noch klein, begann mein Vater, beim Gehen einen Stock zu benutzen. Ich weiß nicht mehr genau, wann dieses Hilfsmittel zum ersten Mal bei uns zu Hause, in der South Side von Chicago, auftauchte – ich muss so etwa fünf Jahre alt gewesen sein –, aber es war plötzlich da, schlank, stabil und aus glattem, dunklem Holz. Der Stock war ein erstes Zugeständnis an die Krankheit, Multiple Sklerose, die bei meinem Vater ein ausgeprägtes Hinken auf dem linken Bein verursachte. Langsam und still und wahrscheinlich lange bevor die Krankheit diagnostiziert wurde, untergrub die Nervenerkrankung seine körperliche Unversehrtheit, fraß sich durch sein zentrales Nervensystem und schwächte seine Beine, während er den täglichen Aufgaben nachging: Er arbeitete in der Wasseraufbereitungsanlage der Stadt Chicago, führte den Haushalt zusammen mit meiner Mutter und versuchte, gute Kinder zu erziehen.
Mit dem Stock war es für meinen Vater einfacher, die Treppen zu unserem Apartment zu bewältigen oder spazieren zu gehen. Abends stellte er den Stock an der Lehne seines Sessels ab und vergaß ihn vollkommen, während er das Sportprogramm im Fernsehen verfolgte, sich Jazzmusik auf der Stereoanlage anhörte oder mich auf seinen Schoß zog und wissen wollte, wie mein Tag in der Schule gewesen sei. Der geschwungene Griff des Stocks, die Gummispitze an seinem Ende, das hohle Klackern, wenn er umfiel, all das faszinierte mich. Manchmal nahm ich den Stock und versuchte, die Bewegungen meines Vaters nachzuahmen, während ich im Wohnzimmer herumhumpelte und hoffte, irgendwie nachzuempfinden, wie das für ihn sein musste. Aber ich war noch zu klein und der Stock zu groß, daher baute ich ihn schnell als Requisite in meine Fantasiespiele ein.
Niemand in unserer Familie maß diesem Stock eine symbolische Bedeutung bei. Er war einfach ein Mittel zum Zweck, eine Art Werkzeug, wie die Gummispachtel meiner Mutter in der Küche oder der Hammer meines Großvaters, den er mitbrachte, wenn er zu uns herüberkam und ein kaputtes Regal oder die ausgerissene Befestigung der Vorhangstange reparierte. Der Stock war etwas Nützliches, etwas Schützendes, auf das man sich bei Bedarf stützen konnte.
Was wir allerdings allesamt nicht sehen wollten, war die Tatsache, dass sich der Zustand meines Vaters nach und nach verschlechterte und sein Körper sich stillschweigend gegen sich selbst richtete. Vater wusste es. Mutter wusste es. Mein älterer Bruder Craig und ich waren damals noch Kinder, aber Kinder sind keine Dummköpfe, und obgleich mein Vater mit uns noch Fangen im Hinterhof spielte und jedes Mal dabei war, wenn wir auf dem Klavier vorspielten oder Craig an einem Basketballspiel in der Liga der Acht- bis Zwölfjährigen teilnahm, wussten wir es ebenfalls. Wir begriffen auch allmählich, dass Dads Krankheit uns als Familie verwundbarer und weniger geschützt machte. Sollte ein Notfall eintreten, würde er nicht mehr imstande sein, in die Bresche zu springen und uns vor einem Feuer oder einem Eindringling zu retten. Wir lernten, dass wir das Leben nicht kontrollieren konnten.
Hin und wieder ließ der Stock meinen Vater im Stich. Er schätzte eine Stufe falsch ein, sein Fuß verfing sich im Teppich, und dann kam es vor, dass er stolperte und fiel. Diese schreckensstarren Augenblicke, wenn sein Körper in der Luft zu schweben schien, warfen ein Schlaglicht auf das, wovor wir lieber die Augen verschlossen – seine Verletzlichkeit, unsere Hilflosigkeit, die Ungewissheit und schweren Zeiten, die uns bevorstanden.
Wenn ein erwachsener Mann auf dem Boden aufschlägt, klingt das wie ein Donnerschlag – ein Geräusch, das man sein Leben lang nicht vergisst. Unsere kleine Wohnung schien in allen Fugen zu beben, und wir stürzten helfend herbei.
»Fraser, pass doch auf!«, rief meine Mum dann, als könne sie den Sturz damit ungeschehen machen. Es bedurfte Craigs und meiner gesamten Kräfte, Dad aufzuhelfen, und wir sprangen eilig hin und her, um seinen Stock und die Brille einzusammeln, als könnten wir durch die Schnelligkeit, mit der wir ihn wieder in den Normalzustand zurückversetzten, auch das Bild seines Sturzes auslöschen. Als hätte einer von uns etwas ausrichten können. Diese Augenblicke besorgten und beängstigten mich, wenn mir klar wurde, was wir zu verlieren hatten und wie schnell es gehen konnte.
Im Allgemeinen tat mein Vater solche Vorfälle mit einem Lachen ab, spielte die Sache herunter und gab uns zu verstehen, dass es völlig in Ordnung sei, wenn wir lächelten oder einen Witz rissen. Zwischen uns herrschte ein stummer Pakt: Wir durften uns von solchen Augenblicken nicht nachhaltig beeindrucken lassen. Das Lachen gehörte daher ebenfalls zu den probaten Werkzeugen in unserer Familie.
Inzwischen, als Erwachsene, weiß ich mehr über die Multiple Sklerose: Diese Krankheit bedroht Millionen Menschen auf der ganzen Welt. Sie stellt das Immunsystem auf den Kopf und greift den Körper von innen heraus an, verwechselt Freund und Feind, das Selbst und den anderen. Das gesamte Nervensystem degener