Kapitel 1
»Alles klar bei dir?«, fragte die Stewardess.
»Sicher«, sagte Ida. Wobei im Moment längst nicht alles klar war.
Sie war schon dreimal geflogen. Einmal mit Oma und Opa nach La Palma, einmal mit ihren Eltern nach Sardinien und einmal mit Mama nach Vancouver im Westen Kanadas. Es hatte über den Rocky Mountains ganz schön gerüttelt, und sie hatte ihre Cola verschüttet, aber eigentlich keine Angst gehabt. Es hatte sich ein wenig so angefühlt, als säße sie auf einem bockenden Pferd. Heute flog sie allein. Sie war ja auch schon fast vierzehn. Hoffentlich kam die Stewardess jetzt nicht mit einem Malbuch an. Das wäre ja voll peinlich.
Ida saß am Fenster, der Platz in der Mitte der Dreierreihe war frei, und am Gang hatte sich eine Dame hingesetzt, die sich wohl verpflichtet fühlte, etwas zu sagen. »Wo fliegst du denn hin?«
»Nach Stockholm«, sagte Ida zögerlich. Sie saßen im Flugzeug nach Stockholm, was sollte die Frage?
Die Dame hatte die Stirn gerunzelt. »Ich meinte eher, ob du in die Ferien fliegst oder so.«
»Ja, in die Ferien, auf einen Reiterhof«, sagte Ida und sah aus dem Fenster. Wahrscheinlich hielt die Dame sie jetzt für unhöflich oder dumm, aber so einfach war die Frage nicht zu beantworten.
Sie flog zu ihrer Mutter nach Schweden auf einen Reiterhof. So weit stimmte das alles. Aber dann ging es schon los: Ihre Ferien waren zwei Wochen länger als bei den anderen. Sie hatte eine Sondergenehmigung des Rektors bekommen, die Schule zwei Wochen vor dem offiziellen Ferienbeginn zu verlassen. Und ihre Mutter hatte sie seit Mai nicht mehr gesehen. Seitdem lebte ihre Mama Andrea nämlich in Schweden. Sie hatten telefoniert, geschrieben, geskypt, sich aber seit über zwei Monaten nicht mehr live gesehen.
Ida war bei ihren Großeltern geblieben, in einem Dorf zwischen Augsburg und München. Oma und Opa hatten ein großes Haus mit Platz für zwei Familien. Nach der Trennung ihrer Eltern vor drei Jahren war Ida mit ihrer Mutter zu ihnen ins obere Stockwerk gezogen. Und im Mai war Mama dann nach Schweden gegangen. Es fühlte sich für Ida so an, als würde die Familie immer kleiner werden.
Was aber das Schlimmste war: Sie hatte die Pferde mitgenommen, ihre geliebten Isländer. Die Wallache Laxi und Faxi und die Stuten Frenja und Stjärnfall. Ida musste schlucken. Jetzt bloß nicht weinen, was würden die anderen Passagiere sonst denken?
Immer wenn sie an Stjärnfall dachte, wurde sie traurig. Sie hatten das Fohlen mit der Flasche aufgezogen, weil seine Mutter Frenja es nicht angenommen hatte. Die ersten Tage mussten sie sehr um sein Leben kämpfen, denn Stjärnfall wollte nicht trinken, und auch der Tierarzt hatte keinen Rat gewusst. Ida war damals sieben gewesen und dem Fohlen nicht mehr von der Seite gewichen. Und dann hatte es doch die Flasche genommen, aber nur von ihr! Es war ein Schimmel, in dessen Fell sich das Mondlicht manchmal so spiegelte, als seien Diamanten darübergestreut. Als sie damals einen Namen gesucht hatten, wollte Ida, dass es Sternschnuppe hieß. Sie hatten das isländische Wort dafür nachgeschlagen, aber weil in ihren Ohren »Stjörnuhrap« komisch klang, waren sie irgendwie auf die Idee gekommen, das schwedische Wort für Sternschnuppe zu nehmen, und »Stjärnfall« hatte Ida gut gefallen.
Das lag jetzt schon viele Jahre zurück. War es Zufall, dass sie in diesem Moment in einem Flugzeug saß, das sie nach Schweden bringen sollte? Gab es solche Zufälle? Ida nahm