: Jessikka Aro
: Putins Armee der Trolle Der Informationskrieg des Kreml gegen die demokratische Welt
: Goldmann
: 9783641300234
: 1
: CHF 17.30
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: Politik
: German
: 400
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nicht nur Putins Militärapparat, auch seine Propagandamaschine läuft seit dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 auf Hochtouren: Im Netz führt die russische Regierung einen Cyberkrieg gegen unliebsame Zivilisten, Politiker und Institutionen aus dem In- und Ausland. In ihrem DebütPutins Armee der Trollelegt die preisgekrönte - und wegen ihrer kritischen Berichterstattung verfolgte - finnische Investigativjournalistin Jessikka Aro die Strategien hinter der Propagandaschlacht des Kremls offen. Sie schildert, wie vom russischen Staatsapparat orchestrierte Internettrolle systematisch gegen Oppositionelle, Medienhäuser und NGOs hetzen und nahezu unbemerkt an der Destabilisierung westlicher Demokratien arbeiten, etwa durch das bewusste Anheizen politischer Unstimmigkeiten innerhalb der Europäischen Union sowie die massive Beeinflussung der Wählerwahrnehmung im Vorfeld der US-Wahlen 2016 oder des Brexit-Referendums. Aros schockierende Schilderungen, in die Insiderberichte und ihre eigenen traumatischen Erfahrungen mit den Trollen Putins einfließen, lassen keinen Zweifel daran, dass Russland in Form von Internet-Spionage, Social-Media-Trolltum und Deepfakes alle Register des Cyberkriegs zieht, um Fehlinformationen zu verbreiten und seine Feinde auszuschalten. Eine unverzichtbare Lektüre für alle, die die Netz-Propaganda des Kremls als elementaren Bestandteil russischer Kriegsführung verstehen und ihr etwas entgegensetzen wollen.

Die finnische JournalistinJessikka Aro (geb. 1980) begann im September 2014 ihre Recherche zu pro-russischen Internettrollen. Prompt fand sie sich selbst in ihrem Kreuzfeuer wieder, wurde mit dem Tod bedroht und musste ihr Heimatland verlassen. Im Dezember 2020 wurde Jessikka mit dem renommierten Courage in Journalism-Preis ausgezeichnet, der in Kooperation mit der Washington Post und CNN verliehen wird, 2016 erhielt sie den Bonnier-Preis für Journalismus. Ihre Verdienste rund um die Offenlegung der Informationsschlachten des Kremls im Internet haben weltweit Beachtung gefunden.Putins Armee der Trolle ist ihr erstes Buch.

2. Der Diplomat


Drei Jahre nachdem der litauische Diplomat Renatas Juška 2013 seinen Posten als Botschafter in Ungarn verloren hatte, verliefen die polizeilichen Ermittlungen um den rechtswidrigen Lauschangriff auf von ihm in seiner Zeit als Botschafter geführte Telefonate im Sand.

Noch nicht einmal digitale Forensiker hatten eine Antwort auf die brisante Frage: Wer hatte heimlich die Gespräche zwischen Juška und einem Kollegen in Wilna belauscht, aufgezeichnet und die Aufnahmen dann manipuliert auf YouTube eingestellt? Mit Sicherheit war es nicht »Zydrunas Gerintas«, der die Videos hochgeladen haben will. Zydrunas Gerintas mag sich nach einem litauischen Namen anhören, aber außerhalb des Internets scheint er schlicht nicht zu existieren.

Den Ermittlungen der litauischen Polizei zufolge hatte jemand die Bänder über ein Mobilgerät von einer nicht zu identifizierendenIP-Adresse aus hochgeladen. Man hatte sich mehrmals an YouTube mit der Bitte um nähere Informationen gewandt, aber das Unternehmen hatte nicht reagiert.

Die Forensiker durchkämmten die Dateien mit einer speziellen Software und arbeiteten ein dumpfes Geräusch zu Beginn eines der Anrufe heraus, das sie als »das Ein- oder Ausschalten eines Geräts« interpretierten. Die technische Untersuchung bestätigte, was Juška seit Beginn des Skandals im Sommer 2013 immer wieder beteuert hatte: Die Aufnahmen seien aus mehreren Telefonaten mit einem Kollegen zusammengeschnitten. Auf YouTube jedoch hatte man die Schnipsel als einen zusammenhängenden Anruf dargestellt.

Mit sensationsheischenden englischen Schlagzeilen und Untertiteln versehen, richteten die Videos sich eindeutig an ein internationales Publikum. Sie stellten den Botschafter als undiplomatisch und leichtfertig dar und damit als ungeeignet für eine so verantwortungsvolle Position. Gleichzeitig lud man noch zwei weitere Telefonate auf YouTube hoch. Bei diesen handelte es sich um Aufzeichnungen von Telefonaten des litauischen Botschafters im aserbaidschanischen Baku mit einem Kollegen in Wilna.

Juška wurde nicht zum ersten Mal das Opfer vonkompromat, wie man »kompromittierendes Material« im russischen Geheimdienstjargon nennt. Er hatte die Skandale der vorangegangen sieben Jahre jedoch mit – fast – weißer Weste überstanden, weil sein Arbeitgeber, Litauens Außenministerium, öffentlich hinter ihm stand und eine schützende Hand über ihn hielt. Die manipulierten Videos allerdings, die schlampige litauische Medien als »Leaks« deklarierten, waren denn doch zu viel. Nach einem Monat Druck seitens der Öffentlichkeit und Hearings im Parlament zogen seine Vorgesetzten Juška schließlich von seinem Posten in Budapest ab und zitierten ihn nach Hause.

Man hatte Botschafter Juška jedoch nicht von ungefähr aufs Korn genommen: Er war zur Zielscheibe geworden, weil er seit jeher für die Demokratie eintrat.

***

Renatas Juška, Streiter für Menschenrechte und Visionär, hatte Geschichte studiert. Seine berufliche Laufbahn begann 1995, er war gerade mal dreiundzwanzig Jahre alt, beim litauischen Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten. Erst fünf Jahre zuvor hatte Litauen nach einer von Gewalt geprägten sowjetischen Besatzung seine Unabhängigkeit erklärt. Juškas Arbeit im Außenministerium konzentrierte sich hauptsächlich auf Litauens südöstlichen Nachbarn Belarus, eine ehemalige Sowjetrepublik, die damals – daran hat sich bis heute nichts geändert – erheblich unter russischem Einfluss stand.

Als junger Diplomat arbeitete Juška eng mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zusammen und schließlich als Berater für den litauischen Botschafter in der belarussischen Hauptstadt Minsk.

In dieser Zeit sah sich Juška erstmals mit dem Phänomen der Einschüchterung konfrontiert. In einer für den russischen Geheimdienst typischen Aktion brach jemand in seine Minsker Wohnung ein und hinterließ etwas Zigarettenasche im Ausguss seiner Küche. Weder Juška selbst noch einer seiner Angehörigen rauchte. »Ich empfand das als unangenehm«, sagte mir Juška, »akzeptierte es aber als Teil meines Jobs.«

Außerdem erlebte Juška während seiner Zeit in Belarus, wie Wahlen manipuliert wurden, um die Verlängerung der Präsidentschaft des Kreml-Protegés Alexander Lukaschenko zu garantieren