Einleitung:
Ein paar wissenswerte Kleinigkeiten
Eine meiner weniger selbstzerstörerischen Angewohnheiten besteht darin, meine Tage mit Podcasts oder Hörbüchern in den Ohren auf langen ziellosen Spaziergängen durch die weniger schicken Viertel der Stadt zu vertrödeln und mal hier, mal da herumzugucken. Vor ein paar Jahren stieß ich bei einem dieser Bummel auf etwas, das mich zutiefst amüsierte: ein Doppelhaus, dessen eine Hälfte innerhalb der Grenzen von London stand, die andere außerhalb. Ich war derart entzückt von der Vorstellung, dass irgendwer irgendwo beschlossen hat, die Grenze von Greater London mitten durch ein bestehendes Bauwerk zu legen, dass ich ein Bild davon auf Twitter postete und diese Grenzlinie zu einer der dümmsten erklärte, die ein Mensch je auf einer Karte gezogen hätte.
Die Reaktionen darauf korrigierten diese Zuschreibung augenblicklich. Die Leute überschlugen sich förmlich, mir von Cromatyshire zu erzählen, einer historischen Grafschaft aus 23 Parzellen, die über den Norden Schottlands versprenkelt waren, als sei jemandem ein Teller in Scherben gegangen, und dies aus keinem anderen Grund als dem, dass ein Landbesitzer im 17. Jahrhunderts den König überredet hatte, ihn aufzuwerten. Oder über den Northwest Angle (»Nordwestwinkel«), einen kleinen Zipfel von Minnesota, der an Kanada hängt und vom Rest seines amerikanischen Bundesstaats durch einen großen kalten See getrennt ist – nur weil jemand bei einem Vertragsabschluss 1783 die falsche Karte verwendet hatte.
Und dann wäre da noch Baarle-Hertog, ein belgisches Städtchen, das aus 26 separaten Fleckchen Land besteht und als zersplitterte Exklave in der holländischen Gemeinde Baarle-Nassau liegt. Die unterschiedlichen Ausschankgesetze beider Länder haben ein allabendliches Ritual zur Folge dergestalt, dass Restaurantbesucher in den Niederlanden beim Herannahen der Sperrstunde aufgefordert werden, doch bitte rasch hinüber auf die diesbezüglich liberalere belgische Seite der Grenze zu wechseln. Das schrägste unter all diesen Dingen ist vielleicht das Hotel Arbez in La Cure, ein paar Kilometer nördlich von Genf, das zur Hälfte auf französischem und zur Hälfte auf Schweizer Staatsgebiet liegt. Während des Zweiten Weltkriegs sollen die Angehörigen der lokalen Résistance die obere Etage belegt haben, weil es den Nazis nicht gestattet gewesen sei, die Stiegen der souveränen Schweiz zu benutzen. Diese Anekdote wird gerne und immer wieder erzählt, aber ich glaube trotzdem kein Wort davon.
Mein Lieblingsfall unter all den geographischen Skurrilitäten, die ich dabei kennengelernt habe, ist womöglich Bir Tawil, ein etwa 2000 Quadratkilometer großes Stück Land in der Wüste zwischen Sudan und Ägypten, das von keinem der beiden Staaten beansprucht wird. Man kann sich nicht über den Grenzverlauf einigen. Ägypten bevorzugt eine gerade Linie entlang des 22. Breitengrads, Sudan plädiert für eine stärker gewundene, die zunächst südöstlich des Breitengrads verläuft und sich dann nördlich davon weiterschlängelt.
Grund dafür ist, dass beide Länder ein Gebiet nördlich des
22. Breitengrads für sich reklamieren, namentlich das Hala’ib-Dreieck, in dem es lukrative Ölvorkommen gibt. Eine Begleiterscheinung des ganzen Hin und Her ist, dass keiner das Land haben will, dassüdlich des Breitengrads liegt, und das ist Bir Tawil. Und so liegt es dort in der Wüste, das einzige bewohnbare Stückchen Land der Erde, das kein anderer Nationalstaat haben will. D