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Die Hitze dieses Augusttages hängt schon am frühen Morgen wie eine Glocke über New York City, als ich durch den Central Park gehe. Die Hochhäuser, die Manhattans grüne Oase säumen, scheinen wie würdevolle Herrschaften hinabzublicken, auf all die Jogger, die Dog Walker und auf die New Yorker, die zur Arbeit eilen. So wie ich. Für diesen Spaziergang verlasse ich den Bus jeden Morgen schon am Columbus Circle, um durch den Central Park bis zur 5th Avenue zu laufen. So gut es mir inzwischen auch in Manhattan gefällt, ich brauche diese Mini-Auszeit mit Vogelgezwitscher und dem Duft nach frisch gemähtem Gras, sodass ich mich vorübergehend gar nicht mehr wie mitten in einer Millionen-Metropole fühle.
Doch das Grün lichtet sich viel zu bald, lässt die Hochhausschluchten vor mir auftauchen. Am Kaffeewagen kurz hinter dem Parkausgang hole ich mir meinen üblichen Cappuccino. Mit dem Pappbecher in der Hand beschleunige ich meinen Schritt, um mich dem normalen Tempo der zur Arbeit Eilenden um mich herum anzupassen. New Yorker gehen niemals langsam. Alles in dieser Stadt scheint unter Strom zu stehen, zu vibrieren, einen mitzureißen. Die Touristen, die hier und da viel zu langsam gehen, die Köpfe in den Nacken gelegt, um an den Hochhausfassaden emporschauen zu können, sie fallen auf in diesem Meer aus zügig eilenden Anzugträgern. Auch ich, in meinem dunkelblauen Kostüm, marschiere nun schnellen Schritts die 62. Straße hinauf. Da ich mich schuhtechnisch längst an die New Yorkerinnen angepasst habe, trage ich zum Business-Kostüm natürlich praktische Sneakers, die ich im Hotel gegen Pumps tauschen werde.
Der rote Baldachin vor dem Eingang des Sommerset Boutique Hotels schimmert mir bereits entgegen, und ich erkenne in der Ferne Lennox, einen unserer Bellboys, der gerade Koffer aus einer schwarzen Limousine wuchtet und auf den golden glänzenden Gepäckwagen lädt. Eiligen Schritts überhole ich ein kleines Grüppchen Touristen, offensichtlich eine Familie mit zwei Teenagern. Im Vorbeigehen schnappe ich ein paar französische Worte auf, und als ich den Vater flüchtig von der Seite betrachte, erinnert mich sein dunkles Haar, das ihm lässig in die Stirn fällt, einen wehmütigen Herzschlag lang an Olivier.
Dieser fremde Franzose lenkt mich ein paar Schritte lang so sehr ab, dass ich vergesse, rechtzeitig die Straßenseite zu wechseln. Noch bin ich damit beschäftigt, das Gesicht von Olivier zu verdrängen, das beharrlich in meiner Erinnerung auftauchen will, als ich plötzlich aus dem Augenwinkel eine Wiege mit weiß gerüschtem Betthimmel sehe. Entsetzt wende ich mich ab. Ein schwarzhaariger FranzoseUND ein Babybett auf wenigen Metern, das ist zu viel am frühen Morgen. Es hat schon seinen Grund, warum ich sonst immer penibel darauf achte, vor dem Geschäft mit den entzückenden pastellfarbenen Strampelanzügen im Schaufenster rechtzeitig auf die andere Straßenseite zu wechseln!
Rasch vergewissere ich mich, dass kein gelbes Taxi angeschossen kommt, und überquere dann hastig die Straße. Schweiß rinnt meinen Rücken hinab, die Hitze hängt schon um diese frühe Uhrzeit drückend zwischen den Hochhausschluchten. Ich wünsche mich wirklich zurück in den Central Park!
Erst recht, als ich das Quietschen von Fahrradbremsen höre, gefolgt von einem aufgebrachten »Hey, sind Sie blind?«.
Erschrocken sehe ich auf, als dicht vor mir ein Fahrradfahrer mit einem Schlingern zum Stehen kommt und mich fassungslos anstarrt. Sprachlos starre ich zurück – in die hellgrauen Augen meines Chefs, die normalerweise immer ziemlich kühl wirken. In diesem Augenblick allerdings funkeln Duncan So