: Anselm Grün, Ansgar Stüfe
: Die kleine Trostapotheke Weisheit für unfreundliche Zeiten
: Vier-Türme-Verlag
: 9783736503410
: 1
: CHF 11.30
:
: Christliche Religionen
: German
: 160
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Es gibt Tage, da sind wir einsam, traurig, ängstlich oder verletzt. Wir fühlen uns nicht verstanden, alles scheint schiefzulaufen und in unserem Kopf überwiegen die trüben Gedanken. Auch Pater Anselm Grün kennt diese Gefühle und erlebt in seinen Kursen, wie sehr Menschen darunter leiden. Zusammen mit seinem Mitbruder Ansgar Stüfe hat er für diese unfreundlichen Tage eine spirituelle Trostapotheke zusammengestellt. Dabei rückt Pater Anselm mehr die Heilkraft der Bibel in den Mittelpunkt, während Br. Ansgar auf seinen reichen Erfahrungsschatz als Arzt und Mönch zurückgreift. Rezepte, die wirklich guttun - garantiert ohne Nebenwirkungen!

P. Dr. theol. Anselm Grün OSB wurde am 14. Januar 1945 im fränkischen Junkershausen geboren. Seine Kindheit verbrachte er in München. Im Elektrogeschäft seiner Eltern verkaufte er dort bereits als kleiner Junge Glühbirnen und Taschenlampen. Mit 19 Jahren wurde er Benediktinermönch in der Abtei Münsterschwarzach bei Würzburg. Dort lernte Pater Anselm die Kunst der Menschenführung aus der Regel Benedikts von Nursia kennen und entdeckte bereits in den 70er Jahren die Tradition der alten Mönchsväter wieder, deren Bedeutung er besonders in Verbindung mit der modernen Psychologie sieht. Er absolvierte ein Studium der Philosophie, Theologie und Betriebswirtschaft. Seit 1977 war er der wirtschaftliche Leiter (Cellerar) der Abtei Münsterschwarzach und damit bis zum Jahr 2013 für rund 300 Mitarbeiter in über 20 Betrieben verantwortlich. In zahlreichen Kursen und Vorträgen geht er auf die Nöte und Fragen der Menschen ein. So ist er zum spirituellen Berater und geistlichen Begleiter von vielen Managern geworden und gehört zu den meistgelesenen christlichen Autoren der Gegenwart. Als Missionsarzt leitete Bruder Ansgar Stüfe OSB 16 Jahre lang das große Missionskrankenhaus der Abtei Peramiho in Tansania. Anschließend betreute er als Missionsprokurator die weltweiten Projekte der benediktinischen Kongregation. Nach seiner Rückkehr in seine fränkische Heimat widmet sich der passionierte Leser und Verlagsleiter des Vier-Türme-Verlags nun seiner zweiten großen Leidenschaft: Den Büchern.

Wenn ich mich einsam fühle

Anselm Grün

In Gesprächen höre ich immer wieder die Klage: »Ich fühle mich so allein, so einsam. Keiner hat Zeit für mich. Vor allem abends, wenn ich allein in meiner Wohnung bin, habe ich das Gefühl, dass mir die Decke auf den Kopf fällt. Ich fühle mich verlassen von allen Freunden. Keiner ruft mich an. Keiner denkt an mich. Ich frage mich dann oft, welchen Sinn mein Leben hat. Mich vermisst ja doch kein Mensch.«

Die Bibel kennt solche Situationen der Einsamkeit. Im Alten Testament in den Klageliedern bedauert der Autor zunächst das Schicksal des Volkes Israel nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem: »Weh, wie einsam sitzt da die einst so volkreiche Stadt. Einer Witwe wurde gleich die Große unter den Völkern. Die Fürstin über die Länder ist zur Fron erniedrigt. Sie weint und weint des Nachts, Tränen auf ihren Wangen. Keinen hat sie als Tröster von all ihren Geliebten. Untreu sind all ihre Freunde, sie sind ihr zu Feinden geworden« (Klagelieder 1,1f).

Diese Worte kann ich auch auf mein persönliches Leiden an der Einsamkeit beziehen: »Früher stand ich einmal im Mittelpunkt vieler Menschen; in meinem Beruf war ich anerkannt. Jetzt sitze ich einsam da, und niemand denkt mehr an mich. Was ich geleistet habe, das ist für immer vergessen.«

Im dritten Kapitel der Klagelieder bedenkt ein einzelner Mensch seine Einsamkeit. Er nimmt sie an und spürt zugleich die Hoffnung, dass Gott sie wandelt: »Er sitze einsam und schweige, wenn der Herr es ihm auflegt. Er beuge in den Staub seinen Mund, vielleicht ist noch Hoffnung. Er biete die Wange dem, der ihn schlägt, und lasse sich sättigen mit Schmach. Denn nicht für immer verwirft der Herr. Hat er betrübt, erbarmt er sich auch wieder nach seiner großen Huld. Denn nicht freudigen Herzens plagt und betrübt er die Menschen« (Klagelieder 3,28–33).

Wenn ich diese beiden Texte lese, erlaube ich mir, über meine Einsamkeit zu klagen und mich selbst zu bedauern, dass ich mich so allein fühle. Aber zugleich spüre ich mitten in meiner Klage die Hoffnung, dass Gott meine Einsamkeit verwandelt. Wenn ich mich in meiner Einsamkeit an Gott wende, bin ich schon nicht mehr ganz allein. Ich kann mit Gott über mein Alleinsein sprechen.

Der Schweizer Psychoanalytiker Peter Schellenbaum meint, die Antwort auf den Schmerz über mein Alleinsein sei, mein Alleinsein in ein All-Eins-Sein zu verwandeln. Wenn ich mich in meinem Alleinsein eins fühle mit Gott und mit allen Menschen, dann fühle ich mich getragen. Ich fühle mich nicht mehr allein gelassen, vergessen, verachtet. Ich bin zugehörig zur großen Gemeinschaft der Menschen. Ich spüre im Einssein mit Gott und mit den Menschen zugleich ein Einssein mit mir selbst, ein Einverstandensein mit mir als dieser einmaligen Person, die sich jetzt allein fühlt, die aber in der Tiefe ihrer Seele eins ist mit allen Menschen auf der weiten Welt. Dann bin ich nicht mehr fixiert auf mich selbst, sondern spüre die Verbundenheit mit allen Menschen und mit der Schöpfung.

Ein Text, der uns in der Einsamkeit trösten kann, ist für mich Jesaja 54. Die ersten Sätze lauten: »Freu dich, du Unfruchtbare, die nie gebar, du, die nie in Wehen lag, brich in Jubel aus und jauchze! Denn die Einsame hat jetzt viel mehr Söhne als die Vermählte, spricht der Herr. Mach den Raum deines Zeltes weit, spann deine Zelttücher aus, ohne zu sparen. Mach die Stricke lang und die Pflöcke fest!« (Jesaja 54,1f).

In diesem Text wird die Einsamkeit verbunden mit zwei anderen Nöten: der Erfahrung der Unfruchtbarkeit und des mangelnden Selbstvertrauens. Wer sich allein fühlt, hat den Eindruck, dass sein Leben keine Frucht bringt, dass niemand sich um ihn kümmert, dass man sein Leben lebt, ohne dass jemand anderer davon Kenntnis nimmt. Oft genug nagt das Gefühl des Alleinseins am Selbstvertrauen. Man macht sich Vorwürfe, warum man allein ist. Man ist offensichtlich nicht wichtig für die anderen. Man hat ja nichts anzubieten, fühlt sich langweilig. Im Gespräch kann man nichts zur Unterhaltung beitragen. So vergräbt man sich immer mehr in diese drei Gefühle: Ich bin einsam, ich bringe keine Frucht und ich habe kein Selbstvertrauen.

Wenn ich diesen Text in diese drei Haltungen hineinfallen lasse und für mich meditiere, dann kann er zum Trost werden, nicht zur Vertröstung. Ich kann erahnen und vielleicht auch glaub