IV.
Nach der Entscheidung, meine Lebens-Ökobilanz auszugleichen, setzte ich mich am nächsten Morgen an den Rechner und googelte »Lebens-Ökobilanz ausgleichen«.
Das Ergebnis war bescheiden. Ich hatte eine lange Liste von Ratgebern, Konzepten, kontroversen Expertendiskussionen, »Grüne Null«-Foren und Fotos von glücklich wie zerknirscht guckenden Nachhaltigkeits-Champions erwartet. Doch stattdessen gab es auch bei intensiverer Recherche keine wirklich zufriedenstellende Information. Im Wesentlichen konzentrierten sich der Diskurs und das Angebot an Hilfestellungen auf »Footprint«-Rechner, also Online-Kalkulatoren, mit denen ich sehr grob meinen aktuellen Lebensstil auf seine laufenden, meist auf ein Jahr hochgerechnetenCO2-Emissionen hin überprüfen und diese dann zu verschiedenen Vergleichsgrößen – den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, dem durchschnittlichen Weltbürger, dem Durchschnittsdeutschen oder dem Durchschnitts-Nordrhein-Westfalen – in Beziehung setzen konnte.
Das war durchaus interessant und verstärkte meine unguten Ahnungen im Hinblick auf meinen eigenen Status quo. Doch waren alle Angebote offenkundig ungeeignet, eineLebens-Ökobilanz abzubilden. Ich wollte ja schließlich nicht nur wissen, welcheCO2-Emissionen ich laufend bewirke, sondern welche ich im Laufe meines gesamten (bisherigen) Lebens verursacht hatte, und außerdem einen klaren Blick auf alle anderen Schadensformen meines Daseins werfen, zu denen in den Kalkulatoren nichts zu finden war. Was war mit all dem Müll, den ich hinterlasse, mit all den Elektrogeräten, Computern und Batterien, die ich benutzt und anschließend bequem im Hausmüll entsorgt, mit all den Dingen, die ich gegessen, getrunken, genutzt, verbraucht und zerstört hatte, den Bergen von Windeln meiner Kinder, den Flugreisen und Zigaretten der Jugend, den gigantischen Wassermengen für stundenlanges Duschen und die wöchentlichen Autowäschen, was war mit den Lagerfeuern unter offenem Himmel und dem Grünschnitt im Garten, mit den Haushalts- und Autoreinigern zweifelhaftester Herkunft und Mixtur, mit den Bergen von Klamotten, Schuhen, Tennisbällen? Was mit dem Hundefutter und den Armeen von Badezimmerutensilien? Wo blieben da Koks- und Kohleöfen meiner Kindheit, das Benzin im ersten Auto und Motorrad meiner Jugend und all das Kerosin der Dienstreisen und der Urlaube? Dazu die Säcke voll Party-Plastikbesteck und nutzlosem Firlefanz, die Tausenden von Spülmaschinentabs und die zumindest dereinst nochFCKW-getriebenen Deosprays? All das hatte nicht nurCO2, sondern gewiss auch unzählige weitere, vielleicht noch viel umweltschädlichere Emissionen verursacht, und keine dieser Wirkungen war Teil der Instrumente und Rechner, die ich finden konnte.
Einen ganzen Tag lang durchquerte ich das Internet. Mit zunehmender Verbissenheit versuchte ich, etwas seriösen Grund in mein Vorhaben zu bringen. Ich experimentierte damit, mit den Footprint-Rechnern und mit Rechenbeispielen diverser Kompensationsbörsen meine eigenen, natürlich nur groben Berechnungen anzustellen. Indem ich in mehreren Tabellen Mobilitäts- und Wohndaten überschlägig erfasste und dann auf verschiedenen Plattformen verarbeitete, erhielt ich zumindest ein halbes Dutzend persönlicherCO2-Bilanzen, einige sogleich auch mit einem Kompensationsvorschlag. Die Summen und Ergebnisse schwankten: Während ich hier mit einer Spende über 1 200 Euro für die Regenwaldaufforstung in Costa Rica tatsächlich vollständigen Wiederausgleich sollte leisten können, musste ich mehr als das Zehnfache in den Flächenschutz am Amazonas investieren, um eine Art grüne Absolution zu erhalten.
EineÖkobilanz (im Englischen Life Cycle Assessment,