4. In jordanischen Gefängnissen
»Im Knast denkt mancher,
Gott sei Dank gibt’s Feilchen,
die im Verborgenen blühen.«
Joachim Ringelnatz
Wir sind gerade zehn Minuten auf dem Wasser, da heulen die Sirenen los. So schneidend laut, als wären sie an unserem Bug installiert. Suchscheinwerfer huschen hastig, panikartig übers dunkle Meer. Nicht nur von jordanischer Seite. Augenblicklich auch von Israel und Saudi-Arabien. Es ist die Hölle los. Uns ist klar: Man hat uns entdeckt, da bleibt kein Zweifel. Wir haben die Wachsamkeit der Soldaten unterschätzt. Dabei hatten wir extra bis halb drei Uhr nachts gewartet, wenn sie im Tiefschlaf wären. Pustekuchen.
Wir befinden uns in einem kleinen Ruderboot im Vierländereck auf dem Golf von Aqaba, Rotes Meer. Wir wollen rüber nach Bir Taba, einem kleinen Fischerhafen auf Sinai, Ägypten, geschätzte 15 Kilometer entfernt. Genau wissen wir das nicht. Unsere Karten sind mickrig. Aber bei Tage kann man den Ort drüben erahnen. Eigentlich ein Katzensprung.
Der erste Motor wird angeworfen. Dann noch einer und noch einer. Gerd ahnt es: »Die wollen bestimmt nicht zum großen Nachtangeln. Das gilt uns.«
Mit Höchstgeschwindigkeit brausen sie aus Richtung Aqaba übers Wasser. Wir hören augenblicklich auf zu rudern. Bloß keine falsche Bewegung! Die uns da fangen sollen, stehen unter Hochspannung. Ein einziger Millimeter ihrer nervösen Finger am Abzug der Maschinengewehre genügt, um uns zu durchsieben. Wir hören ihre lauten Rufe. Was sie da rufen, ist unverständlich. Aber klar ist, das heißt »Hände hoch! Keine Bewegung!«. Das haben wir längst auch ohne Aufforderung getan.
Schon sind sie ran. Es sind zwei Boote, die voll abbremsen und deren Bugwellen uns ins Wanken bringen. DieMG-Schützen verheddern sich in den Patronengurten. Wir rufen immer wieder: »Almaani! Deutscher!« Es wäre fatal, wenn sie uns für Israelis, ihre Todfeinde, hielten. Israel liegt in Reichweite, vielleicht 500 Meter entfernt. Theoretisch hätte auch das unser Ziel sein können. Wir müssen in ihre Boote umsteigen. Dann brausen sie mit uns zurück ins Militärcamp am Rand von Aqaba.
Erstes Verhör. Wir sind drei Deutsche: Gerd, Hans und ich. Wir haben in Hamburg die Konditoren-Meisterprüfung gemacht und uns dafür etwas Besonderes gönnen wollen: eine Trampreise ums Mittelmeer. Das ersehnte Besondere erleben wir in ebendiesem Moment.
Hier in diesem verflixten Hafen am Vierländereck von Saudi-Arabien, Jordanien, Israel und Ägypten hatten wir zwei Wochen ausgeharrt. Es ging einfach nicht mehr weiter. Kein Schiff wollte uns bis zum Suezkanal mitnehmen, weil hier nur Frachtschiffe anlegten, denen der Personentransport verboten war. Dann hatten wir bei den Fischern von Aqaba gefragt. Sie lehnten ab. Sie dürften sich der Golfmitte nicht nähern. Bei der Polizei hatten wir vorgesprochen wegen einer Ausnahmegenehmigung für die Fischer. Fehlanzeige. Jordanien und Ägypten waren 1959 nicht gut aufeinander zu sprechen.
Das brachte mich dann auf die verhängnisvolle Idee, mit eigener Kraft in einem der kleinen Holzboote nach Sinai zurudern. Nachts, wenn alle schliefen. Zwei Tage zuvor hatten wir aus alten Kistenbrettern Ruder improvisiert. Hans wollte den Kahn wieder zurückbringen. Er würde drüben keine Einreiseerlaubnis erhalten. Man hatte ihm am Strand vor ein paar Tagen den Pass geklaut. Er musste zurück zur deutschen Botschaft in Amman und sich ein Ersatzdokument holen.
»Ihr wolltet nach Israel! Ihr seid Spione! Ihr seid Juden!«, brüllt der Mann, der uns verhört.
Jetzt geht uns doch die Muffe. Spionage hat weltweit einen anderen Stellenwert als unbefugte Bootsbenutzung. Vor allem in einem Königreich, das sich vom Nachbarstaat in seiner Existenz bedroht fühlt.
»Nein, wir wollten nach Ägypten, nach Bir Taba«, versichern wir erneut.
Sie glauben es nicht. Sie wiederholen ihre Beschuldigungen. Wir wiederholen unsere Antworten. Wie Pingpongbälle fliegen die zwei Sätze hin und her, verschieden nur in ihrer Lautstärke.
Als die Sonne aufgeht, werden wir dem Polizeichef überstellt. Zum Glück ist er ehrlich und bestätigt, dass wir Tage zuvor um eine Genehmigung für die Überfahrt nach Ägypten gebeten haben.
Die Situation entspannt sich spürbar. Also doch keine Feinde! Das Gepäck wird durchsucht. Da ist nichts, das nach Spionage riecht. Außer meinem uralten 38er-Revolver. Er sollte unsere Sicherheit erhöhen während der folgenden Wochen, wenn es durch endlos einsame Gebiete in Libyen ging, wo man schnell zum Freiwild werden konnte. Ich hatte die funktionierende Antiquität auf dem Schwarzmarkt in Jerusalem (damals noch Jordanien) erworben, zusammen mit sechs Patronen. Gern hätte ich ein paar mehr gehabt.
»Mehr braucht man nicht«, wusste der Händler. »Wenn du mit sechs Schüssen dein Ziel nicht triffst, nützen dir auch weitere Patronen nichts. Dann bist du ein schlechter Schütze. Oder du bist tot.«
Eine überzeugende Argumentation. Sie entsprach irgendwie auch meiner Denke. Immer schon wollte ich lieber einen Revolver als eine Pistole haben. Wenn ich je schießen müsste, so meine Überzeugung, wäre es nur im äußersten Notwehrfall. Dann hat man nicht mehr die Zeit zum Entsichern und Durchladen, sondern muss ziehen und abdrücken. Eine lebensentscheidende Sekunde. Abgesehen davon ist der Revolver weniger schmutz- und reparaturanfällig als die Pistole. Jahre später, am Blauen Nil, sollte sich das noch bewähren. Sonst gäbe es dieses Buch nicht.
Interessanterweise spielt der gefundene Revolver für