1. Was ist Mindmapping?
In meiner Karriere als Psychotherapeut habe ich viele hilfreiche Erkenntnisse gewonnen. Würden Sie mich allerdings auffordern, einen Aspekt zu benennen, der mein Leben und meine Arbeit besonders transformiert hat, hätte die brandaktuelle Neurowissenschaft des Mindmappings einen Platz ganz oben auf der Liste. Als ich das erste Mal von Mindmapping erfuhr, ging es mir ähnlich wie in dem Moment, als ich den Orgasmus entdeckte. Was Sex ist, wusste ich lange bevor mir klar war, was Orgasmen sind. Als ich dann selbst einen erlebte, konnte ich nicht fassen, dass mir keiner dieses Geheimnis verraten hatte! Wie konnte es die ganze Zeit so etwas geben, ohne dassmirjemand davon erzählt hatte!?
Ganz ähnlich erging es mir, als ich um das Jahr 2000 herum in neurobiologischen Forschungsberichten über Mindmapping stolperte. Ich war fassungslos! Während meiner Ausbildung spielte das Thema in der Psychologie keine Rolle, und das setzt sich bis heute größtenteils fort. Mindmapping existierte nicht einmal als Konzept, bevor zwei Primatenforscher in den 1980ern die Überlegung aufstellten, ob Schimpansen verstehen, dass andere Schimpansen vielleicht andere Ansichten oder eigene Gedanken haben. Sie bezeichneten diesen Prozess als »Theory of Mind«, doch ich nenne es Mindmapping.
Mindmapping ist in keiner psychotherapeutischen Disziplin wesentlicher Teil der Ausbildung. Man braucht es nicht, um als Psychologe, Psychiater, Sozialarbeiter oder seelsorgerischer Berater zugelassen zu werden. Es gibt nur wenige Therapeuten, die überhaupt irgendetwas darüber wissen. Doch wir Menschen machen seit Hunderttausenden – wenn nicht sogar Millionen – von Jahren Mindmapping miteinander, wir lesen andauernd in beinahe jeder Situation im Geist unserer Mitmenschen, denn das ist eine grundlegende Funktion des menschlichen Gehirns. Überrascht Sie meine schockierte Reaktion auf den ersten Artikel in einer Fachzeitung da noch? Finden Sie nicht auch, dass Therapeuten darüber Bescheid wissen sollten?
In der Einleitung definierte ich Mindmapping als die Fähigkeit Ihres Gehirns, eine mentale Landkarte vom Geist einer anderen Person anzufertigen. Das bezieht sich auch auf die Fähigkeit, im eigenen Geist zu lesen. Das klingt zwar kurz und bündig, ist jedoch nicht besonders aufschlussreich. Daher werde ich jetzt Mindmapping genauer erklären, damit Sie verstehen, warum es so wichtig ist.
Das Antriebsrad von Beziehungen
Mindmapping ist ein intuitiver Prozess. Wann auch immer Sie mit einem anderen Menschen interagieren, erzeugt Ihr Gehirn automatisch geistige Bilder seiner Psyche. Ihr Gehirn schaut sich dann diese Bilder an und bildet Rückschlüsse über ihn. »Was will er? Wie ist sie? Ist er schlau oder gerissen? Will sie mit mir ins Bett? Warum schaut er mich an (oder warum schaut er mich nicht an)? Soll ich sie ansprechen? Sollte ich Angst vor diesem Kerl haben?« Dann nutzt Ihr Gehirn diese Beobachtungen, um vorauszusagen, was die anderen tun werden und die eigenen Vorstellungen und Verhaltensweisen entsprechend anzupassen. In erster Linie geht es beim Mindmapping darum, das Verhalten anderer Menschen vorherzusagen.
So wie die meisten Menschen haben auch Sie Bilder vom Geist Ihres Vaters und Ihrer Mutter (oder Ihrer Stiefeltern) im Ko