: Jo Schück
: Nackt im Hotel - Wie Freundschaft der Liebe den Rang abläuft
: dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
: 9783423437257
: 1
: CHF 11.40
:
: Gesellschaft
: German
: 208
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Vergiss Liebe! Nur Freundschaft kann uns retten. Jo Schück, bekannt als aspekte-Moderator und Kulturjournalist, wagt eine radikale These: In der heutigen Zeit, die von gesellschaftlichen Umbrüchen und Globalisierung geprägt ist, in der Sicherheiten gesellschaftlich abhanden kommen und klassische Familienstrukturen sich auflösen, gibt es nur eine beständige Bindung: Freundschaft. Sie gibt uns den Halt, den wir anderswo nicht mehr finden - weder in Liebesbeziehungen noch im familiären Umfeld. Jo Schück kombiniert Kurzgeschichten zum Thema Freundschaft mit hervorragend recherchierten Gesellschaftsanalysen. Er spannt dabei den Bogen von allgemeinen Aussagen über das Wesen der Freundschaft, über Zeitgeist-Phänomene wie Instagram-Dates, Freundschaft plus und Single-Haushalte bis hin zum gesellschaftspolitischen Wert, der Freundschaft heutzutage eingeräumt werden sollte.

Jo Schück, Jahrgang 1980, hat Publizistik, Philosophie und BWL studiert. Seit 2014 moderiert er die Kultursendung aspekte im ZDF und fungiert als Autor und Presenter für gesellschaftspolitische Dokumentationen. Zudem präsentiert er das Debattenformat lass uns reden und die Musiksendung  zdf@bauhaus. Vor seiner Fernsehkarriere war er Radiomoderator bei fritz (rbb) und SBS Alchemy in Sydney. Schück war nominiert für Grimmepreis und deutschen Fernsehpreis und ist ausgezeichnet mit dem Ernst-Schneider-Preis und dem CNN Journalist Award. Nackt im Hotel ist sein erstes Buch.

Nizza


Pisse.

Es stinkt nach Urin.

Mehr ist da nicht. Mehr hat er nicht. Nur diesen Geruch.

Ammoniak und Zitronensäure.

Seit wann? Seit Stunden.

Aus dem Spiegel starrt ein Typ mit blutunterlaufenen Augen, ein Gesicht wie eine Kraterlandschaft, gefangen vom Geruch des Urins.

Wie konnte es so schnell eskalieren? Wie zur Hölle, fragt er sich, ist ein Mensch in der Lage, so etwas überhaupt zu tun? So was tut man nicht.

Sie hat es getan.

»Excusez-moi, darf ich …?«, fragt eine Stimme. Der Mann will sich die Hände waschen.

»Klar«, antwortet er, »bien sûr« – und bewegt sich keinen Millimeter. Nicht weil er nicht will. Sondern weil er nicht kann. Na gut, auch ein bisschen, weil er nicht will.

Der Franzose schaut erst konsterniert, dann verärgert. Augenenge.

Was denkt der jetzt von ihm? Dass er ein Penner ist? Irre? Ein Terrorist? Heutzutage denken ja immer alle gleich, dass jemand ein Terrorist ist, nur weil er sich gerade nicht konventionsgetreu verhält. Nur weil er zum Beispiel mit blutunterlaufenen Augen auf einem Raststättenklo vor dem Waschbecken rumhängt, seit Stunden sein Spiegelbild betrachtet und sich auch dann nicht bewegt, wenn jemand »Excusez-moi« sagt.

Excusez-moi, excusez-moi, äfft er den Mann nach.

In Gedanken. Laut hätte er sich das nie getraut, gerade jetzt, wo er so neben sich steht. Und auch neben dem Mann.

Der drängelt ihn unsanft an die Wand, lässt den Wasserstrahl über die Hände laufen,21,22, genau drei Sekunden lang, schnappt sich in der Drehung ein Papierhandtuch und ist raus, bevor der Typ mit den blutunterlaufenen Augen realisiert hat, dass da jemand war.

Und es stinkt.

Nach Pisse.

— — —

»Wenn mir jemand auf den Sack geht, dannBÄM, Nummer gelöscht, uuunnd tschüs, du.«

Sie bearbeitet gestenreich das imaginäre Handy in ihrer Hand.

Sie liegt auf dem Rücken, die Arme nach oben gestreckt. Er liegt neben ihr auf der Seite.

Beim Reden bebt ganz leicht ihr Oberkörper. Durchs Fenster fällt ein Sonnenstrahl, der sich über ihren Körper legt wie ein Gurt im Auto. Ein Leuchtband mit Brüsten. Faszinierend.

Als er nicht antwortet, dreht sie den Kopf. Sie folgt seinem Blick. Ein Lächeln, ganz kurz nur, aber wahrnehmbar.

Er reißt sich los und schaut sie an.

»Wirklich? Einfach gelöscht?«, fragt er und stützt den Kopf auf den Ellbogen.

»Klar. Wenn jemand Scheiße baut: weg. Ich hab keinen Bock mehr, mich mit Idioten abzugeben.« Sie starrt an die Decke. An wen sie wohl denkt? Auf ihrem Hals sitzt ein klitzekleiner Schweißtropfen. Der letzte Rest Le