: Nora Kreft
: Was ist Liebe, Sokrates? Die großen Philosophen über das schönste aller Gefühle
: Piper Verlag
: 9783492994996
: 1
: CHF 10.40
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: Philosophie: Allgemeines, Nachschlagewerke
: German
: 224
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nichts ist vernünftiger als die Liebe Sie fasziniert uns, seit wir denken können. Doch was bedeutet Liebe aus philosophischer Perspektive? Diese Frage beantwortet Nora Kreft auf besondere Art und Weise: Sie lässt acht berühmte Denkerinnen und Denker auf einer fiktiven Dinnerparty über Liebe, Freundschaft und Begehren diskutieren. Hier treffen so unterschiedliche Charaktere wie Sokrates, Simone de Beauvoir, Sigmund Freud und Immanuel Kant aufeinander. Sie tauschen sich über Freundschaft und Lust aus, streiten über die Bedeutung von Dating-Apps und erörtern, ob Liebe persönliche Autonomie einschränkt. Ihre Dialoge sind so lehrreich und kurzweilig, dass sie einen hervorragenden Einblick in die klügsten Gedanken der Philosophie der Liebe geben und dabei köstlich unterhalten.

Nora Kreft ist Philosophin und forscht zu den Themenbereichen Liebe und Autonomie. Sie promovierte in Erfurt und Graz und ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Philosophische Anthropologie der Humboldt-Universität in Berlin tätig. Zum Thema 'Philosophie der Liebe' trat sie in den Medien vielfach als Expertin auf.

3 Die Unersetzbarkeit des Geliebten


Max Scheler beruft sich auf die Unersetzbarkeit des Geliebten und die Runde gerät in eine Diskussion.

 

»Sokrates, dir zufolge ist eine geliebte Person für den Liebenden nur ein Mittel zu einem bestimmten Zweck, eine Hilfe auf dem Weg zur Weisheit und nichts weiter. Als solche ist die Geliebte aber ganz und gar ersetzbar! Denn was ich als Mittel erachte, finde ich nicht für sich allein genommen wertvoll, sondern nur insofern und so lange es seinen Zweck erfüllt. Deshalb würde ich es leichten Herzens gegen alles eintauschen, das den Zweck ähnlich effektiv erfüllt, und ich wäre geradezu froh, wenn ich statt seiner ein noch besseres Mittel fände.«

Max hatte laut und schnell gesprochen. Jetzt holte er kurz Luft und rief dann: »Ein Liebender würde seine Geliebte aber nie eintauschen! Nicht in dieser Weise. Es ist ihm nichtegal, ob er seine Geliebte oder eine ihr ähnliche Person vor sich hat. Und er denkt auch nicht ernsthaft darüber nach, ob es noch bessere Kandidaten geben könnte. Wenn doch, würde er nicht wahrhaft lieben. Denn wahrhaft Liebende halten ihre Geliebten fürunersetzbar

Er wischte sich über den Mund und nahm einen Schluck Wasser aus dem Glas, das Immanuel ihm hingestellt hatte.

»Denkt nur an liebende Eltern: Sie würden ihre Kinder niemals gegen ähnliche oder irgendwie ›bessere‹ Kinder eintauschen. Es würde uns erschrecken, wenn es doch so wäre. Stellt euch das mal vor. Eltern, die ihr Kind hergeben würden, wenn sie dafür ein noch hübscheres oder noch klügeres haben könnten. Oder eins, das durchschläft! Wir würden mit Recht an ihrer Liebe zweifeln. Das Gleiche gilt auch für die erotische Liebe, über die Sokrates gesprochen hat, und auch für tiefe Freundschaft, Geschwisterliebe und so weiter. Liebende aller Art haben gemeinsam, dass sie ihre Geliebten nicht einfach auf der Basis von vergleichenden Werturteilen eintauschen würden.«

»Ich habe nicht nur voneiner Art der Liebe gesprochen«, wandte Sokrates höflich ein. »Liebende Eltern werden von ihren Kindern auch an die Ideen erinnert, und bei Freunden ist es ebenfalls so. Ich glaube, verschiedene Arten der Liebe gibt es gar nicht, Liebe ist Liebe. Oder anders: Jede Liebe ist erotisch …«

»Wie dem auch sei«, erwiderte Max ungeduldig. »Mein Punkt ist: Du kannst die Unersetzbarkeit des Geliebten nicht erklären. Noch schlimmer: Deiner Theorie zufolge sollten Liebende prinzipiell willens sein, ihre Geliebten gegen all die einzutauschen, die sie in ähnlicher Weise an die Ideen erinnern. Wenn Diotima genauso schön ist wie – na ja, wer fällt mir da jetzt ein – na, sagen wir die schöne Helena, dann sollte es diregal sein, ob du mit Diotima oder mit Helena Umgang hast. Aber angenommen du liebst Diotima, dann ist das doch eine absurde Vorstellung! Oder etwa nicht?«

»Hmm …«, machte Sokrates und wiegte den Kopf hin und her. »Darüber muss ich nachdenken, Max. Jedenfalls ist das ein wichtiger Punkt.«

»Bist du sicher?«, fragte Sigmund spöttisch. »Ist das so wichtig? Ich weiß nicht … Wenn Max recht hätte, dann gäbe es so etwas wie ›echte Liebe‹ womöglich gar nicht.«

Søren sah Sigmund entgeistert an. Immanuel schritt ein: »Warte, Sigmund. Lasst uns Max erst noch genauer befragen. Ich verstehe noch nicht ganz, wie er das mit der Unersetzbarkeit meint.«

Max hob trotzig den Kopf: »Was willst du wissen, Immanuel?«

»Zunächst müssten wir nur ein paar Dinge klären: Wenn du sagst, die Geliebte sei für den Liebenden unersetzbar, dann meinst du nicht, dass wir nur eine Person lieben können, n