: Dietmar Rothermund
: Gandhi Der gewaltlose Revolutionär
: Verlag C.H.Beck
: 9783406742590
: 3
: CHF 6.00
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 129
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB/PDF
Die Idee des gewaltlosen Widerstands ist seit dem indischen Unabhängigkeitskampf mit dem Namen Gandhis verbunden. Durch seine gewaltfreien Aktionen gegen die britische Herrschaft erwarb sich Mahatma Gandhi weit über Indien hinaus Glaubwürdigkeit und Autorität. 'Mein Leben ist meine Botschaft', sagte Gandhi. Diese kompakte Biographie will zum Verständnis seiner Botschaft beitragen.

Deitmar Rothermund ist Professor em. für die Geschichte Südasiens an der Universität Heidelberg und Fellow of the Royal Historical Society, London.

II. Der junge Gandhi:
Von Gujarat nach London


1. Kindheit in Gujarat


Mohandas K. Gandhi wurde am 2. Oktober 1869 in Porbandar, Gujarat, geboren. Sein Vater Karamchand war Premierminister eines kleinen Fürstenstaats. Von solchen Fürstenstaaten gab es über fünfhundert, die wie Insekten im Bernstein von BritischIndien umschlossen waren. Die britischen Kolonialherren hatten überall dort, wo es nicht viel zu holen gab, einheimische Fürsten in Amt und Würden belassen und sie nur einer indirekten Herrschaft unterworfen. In der Innenpolitik genossen sie weitgehende Autonomie. So war auch Gandhis Vater als Premierminister in dem kleinen Staat ein mächtiger Mann. Doch die Atmosphäre dieses Staates war für den jungen Gandhi erdrückend. Das Kommen und Gehen im Hause des Vaters, das ständige Flüstern und Intrigieren ödeten ihn an. Erst später, als der Vater die Position eines Richters am Fürstengericht in Rajkot einnahm, konnte er ihn von ganzem Herzen bewundern. Karamchand Gandhi war ein aufrechter und ehrlicher Mann, er besaß keine reguläre Schulbildung, aber viel Erfahrung und hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Das Gericht, dem er angehörte, war ein Tribunal, das Streitigkeiten zwischen den Fürsten Kathiawars, dem Westteil Gujarats, schlichtete. Die Verfahrensweise dieses Tribunals bestand nicht aus Verhör und Urteil, es ging hier um Vermittlung und Schiedsgerichtsbarkeit. Mohandas Gandhis Gerechtigkeitsempfinden wurde zutiefst von dieser Arbeit seines Vaters in Rajkot geprägt.

Der andere entscheidende Einfluss auf den jungen Gandhi war der der frommen Mutter, die oft Gelübde ablegte, die sich auf das Fasten und andere religiöse Praktiken bezogen. Gandhi bewunderte die fröhliche Disziplin, mit der die Mutter diesen Gelübden folgte. Die Rolle, die Gelübde in seinem späteren Leben spielen sollten, wurde auf diese Weise vorgezeichnet. Zugleich wurde Gandhi sowohl von dem volkstümlichen Vaishnavismus, der in dieser Gegend Gujarats vorherrschte, als auch von dem strengen Jainismus geprägt, der hier seit alter Zeit fest verankert war. Der Vaishnavismus ist jene Form des Hinduismus, bei der Vishnu als höchster Gott angesehen wird. In seiner volkstümlichen Form betont er die hingebungsvolle Andacht, das Gebet und die Frömmigkeit. Der Jainismus ist eine Lehre die zeitgleich mit dem Buddhismus im 6. Jahrhundert vor Christus in Ostindien entstand und sich von dort in den Süden und Westen des Landes verbreitete. In der Philosophie des Jainismus sind Geist und Materie miteinander verbunden und nicht getrennt wie in anderen philosophischen Systemen. Einige der Vorstellungen Gandhis, die westlichen Beobachtern seltsam erschienen, gingen auf diese Philosophie zurück. Dass das individuelle physische Verhalten metaphysische Konsequenzen habe, wurde von ihm ganz selbstverständlich vorausgesetzt. Er hatte diese Ideen in seiner Jugend aufgenommen und kommentierte sie später nicht. Aber einige seiner scheinbar irrationalen Bemerkungen ergeben einen Sinn, wenn sie im Lichte dieser andersartigen Rationalität gesehen werden. In einem ganz primitiven Sinn entsprach dieser Rationalität die Ansicht, dass das Fleischessen der Grund dafür war, dass die Briten die vegetarischen Hindus beherrschen konnten. Gandhi machte daher als Knabe einige Experimente mit dem Fleischessen, obwohl ihm Fleisch überhaupt nicht schmeckte.

Die Welt der Briten war übrigens buchstäblich meilenweit entfernt von der des kleinen Fürstenstaats, in dem Gandhi aufwuchs. Nur in der Schule drängte sich ihm die englische Unterrichtssprache auf, die ihm gar nicht gefiel. Er sagte später einmal, dass er Fächer wie Mathematik sicher viel rascher begriffen hätte, wenn sie ihm in der Muttersprache beigebracht worden wären. Sein Englisch blieb bis zum Ende seiner Schulzeit recht mäßig. Später meisterte er die englische Sprache in Wort und Schrift auf vorbildliche Weise, aber er hielt sie nach wie vor für etwas, das die Kolonialherren den Indern aufgezwungen hatten und das ihnen mehr schadete als nutzte. Er glaubte, dass diese Sprache ihre geistigen Fähigkeiten einengte und sie dazu verführte, zu wiederholen, was andere ihnen sagten, statt für sich selbst zu denken. Er verurteilte ganz besonders jene Inder, die die gleiche Muttersprache hatten, aber dennoch Englisch miteinander sprachen, weil sie das für «gebildet» hielten. Die Liebe zu seiner Muttersprache Gujarati verlor er nie. Selbst als er schon viel auf Englisch veröffentlicht hatte, schrieb und publizierte er weiterhin auch auf Gujarati.

Der indische Nationalismus, der in der Gründung des Nationalkongresses im Jahre 1885 in Mumbai (Bombay) seine

Cover1
Titel3
Zum Buch2
Über den Autor2
Impressum4
Inhalt5
I. Gandhi: «DieWahrheit transzendiert die Geschichte»7
II. Der junge Gandhi: Von Gujarat nach London11
1. Kindheit in Gujarat11
2. Ein «Gentleman» in London14
III. Prägende Jahre in Südafrika18
1. Der Kuli-Anwalt18
2. Der Ursprung des Satyagraha26
IV. Einsatz im indischen Freiheitskampf33
1. Begegnungen mit den indischen Bauern33
2. Die Kampagne der Nichtzusammenarbeit41
3. Die Botschaft des Spinnrads50
4. Die Bedeutung der Steuerverweigerungskampagne in Bardoli55
V. Vom Salzmarsch zum Runden Tisch62
1. Die symbolische Revolution62
2. Der Pakt mit dem Vizekönig67
3. Die Konferenz am Runden Tisch73
4. Das Fasten für die Unberührbaren78
VI. Der Mahatma und die Kongresspartei83
1. Gandhis Abschied vom Kongress83
2. Der Sturz eines Rivalen89
3. Der Zweite Weltkrieg91
4. «Tat oder Tod»94
VII. Der einsame Mahner97
1. Jinnah und Pakistan97
2. Die Herausforderung durch die Atombombe103
3. Teilung und Tod108
VIII. Das ausgeschlagene Erbe116
Zeittafel121
Literaturhinweise123
Register125
Karte: Britisch-Indien 1944–1947129