: Karl Olsberg
: Das Freu Wahres Glück findest du nur in der Wirklichkeit
: Piper Verlag
: 9783492994200
: 1
: CHF 6.40
:
: Kinderbücher bis 11 Jahre
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nach ihrem Umzug fühlt sich Mafalda oft einsam. Ihre Stiefmutter mag sie nicht und ihr Vater ist viel unterwegs. Eines Tages bekommt sie einen Fortunator geschenkt, eine Brille, die »glücklich macht«. Setzt man sie auf, taucht man in eine virtuelle Realität ein: Eine niedliche Katze erscheint, die gefüttert werden und spielen will. Mafalda ist begeistert, bis sie merkt, dass es der Katze gar nicht recht ist, wenn man die Brille absetzt. Bald ist Mafalda nicht mehr die Einzige, die dem Einfluss der Brille verfallen ist. Doch dann entdeckt sie im verwilderten Nachbargarten eine geheimnisvolle blaue Eidechse: ein Freu. Von dem magischen Tier erfährt Mafalda, wie gefährlich die Fortunatoren sind. Und dass sie etwas dagegen unternehmen muss ...

Karl Olsberg, geboren 1960, promovierte über Anwendungen künstlicher Intelligenz und gründete mehrere preisgekrönte Start-ups. Er veröffentlichte bereits zahlreiche Bücher, darunter die Thriller 'Delete' und 'Das KALA-Experiment' sowie den Jugendroman 'Boy in a White Room', der für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2018 nominiert wurde.

1. Mafalda


Mafalda saß an ihrem Schreibtisch und hatte das Matheheft vor sich aufgeschlagen. Doch statt sich mit den Hausaufgaben zu beschäftigen, blickte sie aus dem Fenster.

Ihr Zimmer lag im ersten Stock des neuen Hauses. Über dem Bett gab es eine schräge Wand, was Mafalda sehr gemütlich fand, und das doppelflügelige Fenster über ihrem Schreibtisch bot einen Ausblick in den Garten. Sie wusste, dass ihr Vater diesen Raum für sie ausgesucht hatte, um ihr eine Freude zu machen, und das stimmte sie traurig. Denn sie freute sich kein bisschen, dass sie jetzt hier lebte. Viel lieber wäre sie in ihrem engen Zimmer in der kleinen Wohnung geblieben, in der sie bis vor zwei Monaten gelebt hatte. Die hatte zwar keinen eigenen Garten gehabt, sondern nur einen schmalen Balkon. Aber dafür hatte es einen kleinen Lebensmittelladen unten im Haus gegeben, den Mafalda geliebt hatte, weil tagsüber immer frische, bunte Früchte in den Kästen vor dem Schaufenster lagen und es so schön nach Süden duftete. Und vor allem hatte sie die anderen Menschen im Haus gekannt – den netten Herrn Braukmann, einen pensionierten Lehrer, der mit seinem Dackel Leopold in der Wohnung über ihnen gewohnt und der Mafalda manchmal bei den Hausaufgaben geholfen hatte, oder die dicke Frau Kaspers mit den niedlichen Babyzwillingen. Ganz besonders vermisste Mafalda ihre Freundin Mareike aus dem Nachbarhaus.

Der Regen prasselte gegen die Fensterscheiben. Prasseln, das war ein interessantes Wort. Es klang so ähnlich wie das Geräusch, das die Tropfen machten, aber irgendwie anders. Mafalda überlegte, welches Wort das Geräusch noch besser wiedergegeben hätte. Trommeln? Nein, Trommeln klangen lauter und dumpfer. Eher war es ein Prabbeln oder Prappeln. Oder, noch besser, ein Proppeln. Ja, der Regen proppelte eindeutig gegen die Fensterscheibe.

Eine kleine Stimme in Mafaldas Hinterkopf wies sie darauf hin, dass sie sich lieber mit den Hausaufgaben beschäftigen sollte, statt aus dem Fenster zu starren. Aber die Regentropfen waren hundertmal interessanter als Bruchrechnung. Andererseits würde ihre Stiefmutter Eva bald kommen und kontrollieren, wie weit sie war. Und wenn dann das Blatt immer noch leer war, würde sie wieder Ärger bekommen. Wieder andererseits würde sie sowieso Ärger mit Eva bekommen, wenn nicht wegen der Mathe-Hausaufgaben, dann weil ihr Zimmer unordentlich war. Oder weil sie sich die Haare nicht gekämmt hatte oder weil sie ihren Pullover nicht richtig zusammengelegt hatte oder weil sie die Schuhe nicht ordentlich sauber gemacht hatte, bevor sie das Haus betrat. Oder, oder, oder.

Mafalda seufzte und starrte auf das Blatt. Sie hatte die erste Aufgabe abgeschrieben, bevor der prasselnde, nein, proppelnde Regen sie abgelenkt hatte.

17³⁄₄ + 31⁴/₇ =

Sie wischte sich eine Strähne ihres lockigen kastanienbraunen Haars aus dem Gesicht und betrachtete die Aufgabe. Dabei fiel ihr auf, dass jede Ziffer genau zweimal vorkam: Zwei Einsen, zwei Dreien, zwei Vieren und zwei Siebenen. Außerdem ergab eins mal drei plus vier sieben. Sie kniff die Augen zusammen, bis die Formel leicht verschwamm. Dadurch sah sie plötzlich aus wie ein kleines Tier – links der Kopf, die beiden Brüche die Arme und Beine, das Gleichheitszeichen der Schwanz. Mafalda malte die Umrisse mit dem Kugelschreiber nach, und aus der Aufgabe wurde eine kleine blaue Eidechse.

 

 

Inzwischen hatte der Regen zu proppeln aufgehört. Sie beobachtete die Tropfen, die langsam in krummen Linien am Fenster hinabkrochen, als seien sie sich nicht ganz sicher, welches der richtige Weg nach unten war. Dabei formten sie interessante Muster, beinahe wie fremdartige