: Michael Mary
: Frieden schließen mit dem Kind in uns Wie wir uns von Einflüssen der Vergangenheit befreien
: Piper Verlag
: 9783492993579
: 1
: CHF 8.70
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: Angewandte Psychologie
: German
: 224
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Während der Kindheit sammeln wir grundlegende Überzeugungen darüber, wie die Welt funktioniert und worauf es im Leben ankommt. Diese »Wahrheiten« entscheiden später mit darüber, ob Paarbeziehungen gelingen, ob wir uns beruflich durchsetzen können, wie wir Konflikte lösen oder was wir im Leben für erstrebenswert halten. Der  Einfluss nachteiliger Erfahrungen aus der Vergangenheit lässt sich aufheben, indem wir sie »umschreiben«: indem wir aus heutiger Perspektive heraus neue Bewertungen treffen, zu anderen Wahrheiten gelangen und so zu neuen, besseren Ansichten über das Leben finden. Michael Mary zeigt, wie das gelingt.

Michael Mary ist seit 35 Jahren Berater und hat sich auf Paar-, Single- und Individualberatung spezialisiert. Er ist Autor zahlreicher erfolgreicher Sachbücher, darunter Bestseller wie »5 Lügen, die Liebe betreffend«. Bei Piper erschien zuletzt 'Die Liebe und das liebe Geld'. Für den NDR und SWR führte er etliche Paarberatungssendungen durch. Michael Mary lebt und arbeitet in Hamburg.

1 Alltägliche Begegnungen mit dem Inneren Kind


Zwar glauben manche Menschen, mit dem Inneren Kind nicht viel oder nichts zu tun zu haben. Dass das aber nicht sein kann, ergibt sich allein schon aus der Definition des Begriffs: Das Innere Kind bezeichnet eine in der Vergangenheit entstandene Wahrnehmung. Und über eine solche verfügt natürlich jeder.

Die Vergangenheit ist insofern nie vorbei, als sie sich jeden Moment auf die Gegenwart auswirkt. Sie beeinflusst das Denken und Fühlen, das Verhalten und die Lebenshaltung, das Glücksempfinden und die Lebenszufriedenheit jedes Einzelnen. Wie sich dieser Einfluss konkret auswirkt, das ist den meisten Menschen allerdings unklar, denn er vollzieht sich überwiegend unbewusst. Hinzu kommt, dass sich die meisten erst dann auf Spurensuche in die eigene Wahrnehmung begeben, wenn sich nachteilige Folgen einstellen, die mit der Vergangenheit verbunden sind. Auch das ist bei jedem Einzelnen – natürlich in unterschiedlichem Ausmaß – der Fall.

Solche nachteiligen Auswirkungen zeigen die folgenden Beispiele. In ihnen lassen sich Spuren verfolgen, die aus dem gegenwärtigen Leben in die Vergangenheit weisen.

 

Frau Brede ist Ende vierzig, sie arbeitet als selbstständige Architektin. Ihr Geschäft läuft gut, sie verdient mehr, als sie zu einem guten Leben braucht. Weil sie sich aber seit Jahren kräftemäßig am Limit bewegt, hat sie beschlossen, weniger Aufträge anzunehmen. Nur gelingt es ihr nicht, diesen Entschluss in die Tat umzusetzen. Aus ihr unerfindlichen Gründen nimmt sie weiterhin mehr Arbeit an, als sie bewältigen kann, obwohl die dauernde Erschöpfung ihre Lebensqualität erheblich beeinträchtigt. Sie arbeitet oft siebzig Stunden wöchentlich, nimmt kaum Urlaub und wenn, kann sie dort schlecht entspannen.

Ihr Ehemann, der ihrem Treiben seit Jahren frustriert zusieht, stellt mittlerweile die Beziehung infrage, denn er bekommt seine Frau nur selten zu Gesicht. Er droht schließlich mit Trennung. Erst daraufhin lehnt seine Frau schweren Herzens tatsächlich einige Aufträge ab. Nach sechs Monaten hat sie den Auftragsstau so weit abgearbeitet, dass sie zumindest teilweise bei einem Achtstundentag angekommen ist.

Im Lauf dieser Monate macht sie eine erstaunliche Entdeckung. Sie sagt:»Wenn ich abends von der Arbeit nicht kaputt bin, bekomme ich Existenzängste. Ich kann dann schlecht einschlafen, grüble endlos und mache mir Sorgen. Wenn ich aber total fertig nach Hause komme, bin ich zwar müde, aber frei von Angst.«

Offenbar dient Frau Brede ihre Erschöpfung als Gradmesser eines existenziellen Sicherheitsgefühls. Das würde erklären, warum es ihr bisher nicht gelingt, ihre Arbeit vernünftig zu strukturieren. Wenn sie entspannt ist, beschleicht sie Angst. Nur wenn sie erschöpft ist, scheint alles in Ordnung zu sein. Hier ist ganz deutlich das Innere Kind am Werk.

 

Wie genau das Innere Kind in diesem Fall wirkt, darauf gehe ich im nächsten Abschnitt ein. Lassen Sie mich zuvor ein weiteres Beispiel anführen:

 

Herr Peters ist Anfang vierzig, als er ohne Ankündigung von seiner Frau verlassen wird. Die Umstände sind krass. Er kommt von einer kleinen Dienstreise nach Hause und findet die Schränke seiner Frau leer. Sie ist zu einem anderen Mann gezogen, in einem Brief kündigt sie ihre Scheidungsabsicht an. Herr Peters fällt augenblicklich in ein tiefes Loch. Der gestandene Mann wird zu