Ein Kind des Wandels
«Was ist konservativ?» Die Frage ist so alt wie die Sache des Konservativen selbst. Als Bezeichnung einer politischen Richtung kam der Begriff 1818 mit François René de Chateaubriands royalistischer Zeitschrift «Le Conservateur» auf. Der Bezug auf das (nach-)revolutionäre Frankreich ist kein Zufall. Denn hier nahm auch die Sache ihren Anfang: mit den Reflexionen des britischen Schriftstellers, Staatsphilosophen und Politikers Edmund Burke über die Revolution in Frankreich aus dem Jahr 1790. Das heißt: Die politische Bewegung des Bewahrens war schon in ihrer Entstehung an den Wandel gebunden, den die Französische Revolution in die politische Welt gebracht hatte.
Dabei war Edmund Burke gar nicht grundsätzlich gegen eine Revolution an sich – wenn sie ein verlorenes Gleichgewicht wiederherstellte, so wie es, seiner Meinung nach, in England 1688 der Fall gewesen war. Burke war ohnehin ein Anhänger der Rechte des Parlaments, kein Vertreter der monarchischen Herrschaft. Das macht seine liberale Grundierung aus, ganz ähnlich wie im Falle von Professoren wie Hermann Lübbe, die nach 1968 aus der Kritik an der Radikalisierung dieser Bewegung einen liberalen Konservatismus begründeten. Burke kritisierte an der Französischen Revolution, dass sie keine Ordnung wiederherstellte, sondern im Gegenteil ihre tradierten Grundlagen zerstörte. Tatsächlich hatte er schon früh die Radikalisierung der Revolution prognostiziert und ihren Hang zum Terror erkannt.
Burke rechnete mit der «barbarischen Philosophie» der revolutionären Rationalisten ab und formulierte dabei Grundlagen eines konservativen politischen Denkens. Er wandte sich gegen «metaphysische Abstraktion» und mechanisch-theoretische Ratio und setzte stattdessen auf Erfahrung, Kontextsensibilität und Alltagsvernunft («practical wisdom»). Und mehr noch: Er provozierte die Rationalisten, indem er ihnen Instinkt und Vorurteil als Vernunft mit Zuneigung («reason […] and an affection») und als «Weisheit ohne darüber nachzudenken» («wisdom without reflection») vorhielt.
Mit einer Mischung aus Nüchternheit und Gelassenheit ging Burke davon aus, dass der Mensch sich nicht perfektionieren lasse, sondern von Natur aus fehlerhaft sei: «Wir sind grundsätzlich Wesen ungelehrter Gefühle.» Daher bedürfe es der Ordnung, sowohl in horizontaler als auch in vertikaler Hinsicht. Vertikal, insofern diese Ordnung aus Ungleichen bestand. Und horizontal, insofern sie zeitlich weit ausgriff: als «Partnerschaft nicht nur zwischen den Lebenden, sondern zwischen den Lebenden, den Toten und denen, die noch geboren werden».
Diese lange gewachsene Ordnung besaß ihre eigene Würde, wobei sich im Verlauf ihrer Entwicklung auch Fehler einschlichen. Die galt es, so Burke, «so wie die Wunden eines Vaters» mit Vorsicht zu behandeln, Veränderungen am kranken Teil vorzunehmen, nicht aber am Ganzen. «Bereitschaft zum Bewahren und Fähigkeit zur Verbesserung, beides zusammen, das wäre mein Maßstab für einen Staatsmann.»[1]
In diesem Sinne wurde das Vereinigte Königreich zu dem Land, in dem sich die parlamentarische Tradition des politischen Konservatismus herausbildete. Sie trug wesentlich dazu bei, dass sich das politische System ohne gewaltsame revolutionäre Brüche von der Herrschaft des Königs über die Herrschaft des (von wenigen Besitzenden gewählten) Parlaments zur modernen Demokratie wandelte.[2] Dieses Prinzip des evolutionären Wandels erklärte Lord Derby 1858 vor dem Oberhaus, als die britischen Konservativen unter seiner Führung die Regierung übernahmen:
«My Lords, es gibt keinen größeren Irrtum, als anzunehmen, dass eine konservative Regierung eine Regierung des Stillstands ist. […] Unsere gesamte Verfassung ist das Ergebnis ständigen Wandels. Wie die altehrwürdigen Landhäuser in England ist sie von den aufeinander folgenden Bewohnern gestaltet worden, ohne große Rücksicht auf architektonische Einheitlichkeit oder Regelmäßigkeit der Silhouette, sondern indem hier ein Fenster ergänzt und dort ein Giebel entfernt wurde, oder indem etwas angebaut worden ist, so wie es passend schien, nicht um der Schönheit der äußeren Struktur willen, sondern, und das ist wichtiger, des Nutzens und der Bequemlichkeit der Bewohner wegen. My Lords, dieselbe Richtung muss auch in der Politik und überall sonst verfolgt werden: ein ständiger Fortschritt, der die überkommenen Verhältnisse verbessert, unsere Institutionen an veränderte Zwecke anpasst, denen sie dienen sollen, und durch vernünftige Veränderungen den gewachsenen Anforderungen der Gesellschaft entspricht.»[3]
Der große Unt