: Andreas Rödder
: Konservativ 21.0 Eine Agenda für Deutschland
: Verlag C.H.Beck
: 9783406737268
: 1
: CHF 10.00
:
: Politik
: German
: 145
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB/PDF
Die Volksparteien sind in der Defensive. In den Jahren der großen Koalitionen hat sich der politische Meinungsstreit an die Ränder des politischen Spektrums verlagert. Sie werden immer stärker, während die politische Mitte weithin sprachlos bleibt. Die SPD befindet sich im freien Fall, doch auch die CDU verliert immer weiter an Wählerzuspruch - eine hochbrisante Entwicklung für das Parteiensystem und die parlamentarische Demokratie, wie wir sie kennen.
Wie aber könnte ein neuer und zeitgemäßer Konservatismus aussehen, der diesen Trend umkehrt? Andreas Rödder analysiert zunächst die aktuelle Lage der deutschen Demokratie und definiert dann den Kern konservativen Denkens, um einen Konservatismus der Zukunft in zehn Thesen auf die konkreten Politikfelder anzuwenden: von der Europapolitik und den großen Themen Migration, Umwelt und Bildung bis hin zum Lieblingsthema der rechten Populisten: Heimat und Patriotismus. 'Konservativ 21.0' ist eine brillante Analyse der konservativen Defizite, an denen die Politik heute krankt, und zugleich ein leidenschaftlicher Appell, sich nicht ins populistische Bockshorn jagen zu lassen.

Andreas Rödder ist Professor für Neueste Geschichte an der Johannes-Gutenberg-Universitä Mainz und einem breiteren Publikum vor allem durch seine weithin beachteten Bücher"21.0. Eine kurze Geschichte der Gegenwart" und"Wer hat Angst vor Deutschland? Geschichte eines europäischen Problems" bekannt geworden.

II

Konservativ 21.0


Ein Kind des Wandels


«Was ist konservativ?» Die Frage ist so alt wie die Sache des Konservativen selbst. Als Bezeichnung einer politischen Richtung kam der Begriff 1818 mit François René de Chateaubriands royalistischer Zeitschrift «Le Conservateur» auf. Der Bezug auf das (nach-)revolutionäre Frankreich ist kein Zufall. Denn hier nahm auch die Sache ihren Anfang: mit den Reflexionen des britischen Schriftstellers, Staatsphilosophen und Politikers Edmund Burke über die Revolution in Frankreich aus dem Jahr 1790. Das heißt: Die politische Bewegung des Bewahrens war schon in ihrer Entstehung an den Wandel gebunden, den die Französische Revolution in die politische Welt gebracht hatte.

Dabei war Edmund Burke gar nicht grundsätzlich gegen eine Revolution an sich – wenn sie ein verlorenes Gleichgewicht wiederherstellte, so wie es, seiner Meinung nach, in England 1688 der Fall gewesen war. Burke war ohnehin ein Anhänger der Rechte des Parlaments, kein Vertreter der monarchischen Herrschaft. Das macht seine liberale Grundierung aus, ganz ähnlich wie im Falle von Professoren wie Hermann Lübbe, die nach 1968 aus der Kritik an der Radikalisierung dieser Bewegung einen liberalen Konservatismus begründeten. Burke kritisierte an der Französischen Revolution, dass sie keine Ordnung wiederherstellte, sondern im Gegenteil ihre tradierten Grundlagen zerstörte. Tatsächlich hatte er schon früh die Radikalisierung der Revolution prognostiziert und ihren Hang zum Terror erkannt.

Burke rechnete mit der «barbarischen Philosophie» der revolutionären Rationalisten ab und formulierte dabei Grundlagen eines konservativen politischen Denkens. Er wandte sich gegen «metaphysische Abstraktion» und mechanisch-theoretische Ratio und setzte stattdessen auf Erfahrung, Kontextsensibilität und Alltagsvernunft («practical wisdom»). Und mehr noch: Er provozierte die Rationalisten, indem er ihnen Instinkt und Vorurteil als Vernunft mit Zuneigung («reason […] and an affection») und als «Weisheit ohne darüber nachzudenken» («wisdom without reflection») vorhielt.

Mit einer Mischung aus Nüchternheit und Gelassenheit ging Burke davon aus, dass der Mensch sich nicht perfektionieren lasse, sondern von Natur aus fehlerhaft sei: «Wir sind grundsätzlich Wesen ungelehrter Gefühle.» Daher bedürfe es der Ordnung, sowohl in horizontaler als auch in vertikaler Hinsicht. Vertikal, insofern diese Ordnung aus Ungleichen bestand. Und horizontal, insofern sie zeitlich weit ausgriff: als «Partnerschaft nicht nur zwischen den Lebenden, sondern zwischen den Lebenden, den Toten und denen, die noch geboren werden».

Diese lange gewachsene Ordnung besaß ihre eigene Würde, wobei sich im Verlauf ihrer Entwicklung auch Fehler einschlichen. Die galt es, so Burke, «so wie die Wunden eines Vaters» mit Vorsicht zu behandeln, Veränderungen am kranken Teil vorzunehmen, nicht aber am Ganzen. «Bereitschaft zum Bewahren und Fähigkeit zur Verbesserung, beides zusammen, das wäre mein Maßstab für einen Staatsmann.»[1]

In diesem Sinne wurde das Vereinigte Königreich zu dem Land, in dem sich die parlamentarische Tradition des politischen Konservatismus herausbildete. Sie trug wesentlich dazu bei, dass sich das politische System ohne gewaltsame revolutionäre Brüche von der Herrschaft des Königs über die Herrschaft des (von wenigen Besitzenden gewählten) Parlaments zur modernen Demokratie wandelte.[2] Dieses Prinzip des evolutionären Wandels erklärte Lord Derby 1858 vor dem Oberhaus, als die britischen Konservativen unter seiner Führung die Regierung übernahmen:

«My Lords, es gibt keinen größeren Irrtum, als anzunehmen, dass eine konservative Regierung eine Regierung des Stillstands ist. […] Unsere gesamte Verfassung ist das Ergebnis ständigen Wandels. Wie die altehrwürdigen Landhäuser in England ist sie von den aufeinander folgenden Bewohnern gestaltet worden, ohne große Rücksicht auf architektonische Einheitlichkeit oder Regelmäßigkeit der Silhouette, sondern indem hier ein Fenster ergänzt und dort ein Giebel entfernt wurde, oder indem etwas angebaut worden ist, so wie es passend schien, nicht um der Schönheit der äußeren Struktur willen, sondern, und das ist wichtiger, des Nutzens und der Bequemlichkeit der Bewohner wegen. My Lords, dieselbe Richtung muss auch in der Politik und überall sonst verfolgt werden: ein ständiger Fortschritt, der die überkommenen Verhältnisse verbessert, unsere Institutionen an veränderte Zwecke anpasst, denen sie dienen sollen, und durch vernünftige Veränderungen den gewachsenen Anforderungen der Gesellschaft entspricht.»[3]

Der große Unt

Cover1
Titel3
Zum Buch145
Über den Autor145
Impressum4
Inhalt5
Prolog: Die K-Frage7
I. Sprachlose Mitte: Zur Lage der Nation9
Zwischen Siegeszug und Populismus: Die westlichen Demokratien seit 19909
Moralisierung und Polarisierung14
Das Ende der Volksparteien?17
II. Konservativ 21.023
Ein Kind des Wandels23
Der große Unterschied: Liberaler und illiberaler Konservatismus26
Das konservative Paradox37
Konservativ 1: Der lange Atem der Zeit40
Konservativ 2: Fröhliche Skepsis43
Konservativ 3: Erfahrung und Alltagsvernunft, Maß und Mitte45
Konservativ 4: Gesellschaft vor Staat, Freiheit und Subsidiarität47
III. Eine Agenda für Deutschland53
1. Internationale Politik: Mehr Realismus und mehr Engagement53
2. Eine Strategie für Europa: Flexible Union statt ever closer union61
3. Bildung: Echte Chancen und neue Aufklärung68
4. Digitalisierung: Be-Denken first76
5. Ein neuer Ruck für das «Modell Deutschland»: Infrastruktur, Stadt und Land80
6. Klimawandel und Umweltpolitik: Offenheit statt Ideologie84
7. Soziale Marktwirtschaft: Ordoliberalismus wiederentdecken und Lebensverläufe neu denken89
8. Männer und Frauen: family mainstreaming statt Ständegesellschaft101
9. Asyl und Migration: Klare Regeln und verlässliche Umsetzung108
10. Eine bürgergesellschaftliche Leitkultur114
Streitbare Mitte: Konservatismus, Bürgergeist und Demokratie im 21. Jahrhundert121
Anmerkungen127