Auch wenn sie einen schlechten Ruf hat: Wut lohnt sich.
Und weibliche Wut? Viele Frauen haben Angst vor Wut – vor der Wut anderer Menschen, aber auch vor ihrer eigenen. Es ist ihnen unangenehm, Ärger und Wut bei sich selbst und anderen zu spüren und zu erleben. Sie schämen sich ihrer Wut oder verachten sie sogar. Manche Frauen haben keinen Zugang zu ihrer Wut, spüren sie nicht oder wollen sie nicht spüren und nehmen auch ihre körperlichen Auswirkungen nicht als verdrängte Wut wahr. Andere Frauen wiederum erleben sich oft, manchmal allzu oft, als ärgerlich und wütend, wissen aber nicht, wie sie diese Gefühle angemessen ausdrücken können. So schlucken sie sie lieber runter oder versuchen sie zu besänftigen. In der Folge kommt der Ärger dann bei unpassender Gelegenheit und manchmal auch zu impulsiv oder zu laut zum Vorschein. Frauen werden dann mitunter als zickig, hysterisch oder als »Drama Queen« abgestempelt. Von daher wundert es nicht, dass viele Frauen ihre Wut nicht mögen. Wut, so scheint es, gilt vielfach als »unweiblich«.
Zum Glück gibt es auch Frauen, die sagen: Ich schätze meine Wut, ich brauche sie, um für mich zu kämpfen, um für mich selbst und mir wichtigen Werte einzustehen. Diese Frauen berichten auch, dass sie erst durch ihre Wut den Mut fanden, wichtige anstehende Veränderungen in ihrem Leben anzugehen. Wut und Ärger, also die kleine Wut, helfen uns, Grenzen zu setzen und uns zu schützen. Vor allem zeigen diese Gefühle uns an, dass etwas für uns nicht stimmig ist, dass wichtige Bedürfnisse nicht gesehen und nicht respektiert werden.
Ich bin bei der Beschäftigung mit diesem Thema zunächst einmal auf persönliche Spurensuche gegangen. Bin ich eine wütende Frau, eine Frau, die fähig zur Wut ist, oder wäre ich es gerne? Welche Probleme habe ich selbst damit, meine Wut wahrzunehmen und gut mit ihr umzugehen? Habe ich sie, wie viele andere Frauen, verdrängt? Nein, ich muss meine Wut nicht mehr suchen, sie ist nicht mehr unter Ängsten und Anpassungsdruck verborgen. Ich kann sogar sagen, dass ich sie inzwischen in gewissem Sinne sehr mag. Ja, ich mag sie, obwohl ich mich in den konkreten Situationen, in denen ich Ärger und Wut empfinde, erst einmal nicht wohlfühle, unzufrieden, enttäuscht oder verletzt bin. Ich schätze meine Wut, denn sie macht mich lebendig und gibt mir Energie, um mich für mich selbst, meine Werte, meine Standpunkte und meine Bedürfnisse einzusetzen. Ich schätze auch die Wut, die in mir aufsteigt, wenn ich erlebe, wie Menschen mit anderen Menschen und mit unserer gemeinsamen Welt zerstörerisch umgehen; wenn ich sehe, wie Menschlichkeit mit Füßen getreten wird.
Gleichzeitig frage ich mich, wie ich zu dieser positiven Haltung zur Wut gekommen bin, wo ich doch in der Zeit meines Heranwachsens so wenig oder gar keine Vorbilder für einen guten Umgang mit Wut hatte. Kannte ich in den ersten 20 Jahren meines Lebens überhaupt die Gefühle von Ärger und Wut? Ich war eher das liebe und schüchterne Mädchen, das mit zwei älteren Geschwistern und der Pflegemutter in einem paradiesischen Garten aufwuchs – so stellt es sich zumindest in meiner Erinnerung dar. Und doch muss auch in mir die Bereitschaft zu Ärger und Wut gesteckt haben, denn ich erinnere mich auch gut daran, wie geschickt ich meine großen Geschwister getriezt habe. Als Jüngste wurde ich dafür nicht zur Rechenschaft gezogen, nur die Großen wurden geschimpft, wenn ich mich über sie beschwerte. Schlimmer noch: Ich, das nette, brave Mädchen – wie mich alle sahen –, war sehr grausam zu meinem Banknachbarn in der dritten Schulklasse. Ich quälte den arme