2 Theorie und Empirie
Wie wir gesehen haben, zielt Wissenschaft auf die Identifikation von grundlegenden Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten. Diese sind abstrakt insofern, als sie von den Besonderheiten des Einzelfalls absehen.
Die Einzelfälle werden als Spezialfälle dieser Prinzipien angesehen, die ihre jeweilige Eigenart durch (u. U. vielfältige) im Hinblick auf die gerade betrachteten Prinzipien unsystematische weitere Einflüsse erlangen. Je komplexer, dynamischer und variabler die Einzelfälle aufgrund dieser weiteren Einflüsse werden, desto schwieriger ist es, die in ihnen wirkenden Prinzipien zu erkennen. In diesen Fällen ist es ebenfalls schwierig, anhand der Einzelfälle festzustellen, ob diese für oder gegen bestimmte vermutete Prinzipien sprechen. Es ist in solchen Fällen also weder einfach, eine Theorie für den Gegenstandsbereich zu entwickeln, noch, diese Theorie empirisch zu prüfen.
Theorien sind abstrakt formuliert und beziehen sich auf die Zusammenhänge zwischen Variablen. Die Variablen sind dabei die Formalisierung der interessierenden Merkmale und die betrachteten Modelle die Formalisierung der Beziehungen zwischen diesen Merkmalen.
Aufgrund der vielen, im Hinblick auf die gerade interessierenden Zusammenhänge als unsystematisch angesehenen zusätzlichen Einflüsse im Einzelfall benötigen wir für die Analyse von solchen Einzelfällen, um die quasi im »Rauschen« verborgenen Zusammenhänge zu identifizieren, möglichst viele Einzelfälle, um diese gemeinsam analysieren zu können. Darüber hinaus brauchen wir Modelle, die es uns erlauben, das »Rauschen« der Einzelfälle, also die unsystematischen Variationen von den systematischen Zusammenhängen zu trennen und letztere zu identifizieren und zu beschreiben.
Solche Modelle liefert uns die Statistik. Die Deskriptive Statistik erlaubt uns die zusammenfassende Analyse einer (möglichst großen) Anzahl von Einzelfällen. Die Inferenzstatistik hilft uns bei der Frage, ob die gefundenen Zusammenhänge sich von der Stichprobenebene auf die Populationsebene generalisieren lassen und damit eine gewisse Allgemeingültigkeit beanspruchen dürfen.
2.1 Worum geht es in der (empirischen) Wissenschaft?
In der empirischen Wissenschaft geht es umFragestellungen undHypothesen.
VonFragestellungen sprechen wir, wenn wir eine offene Frage stellen, für deren Antwort wir keine theoretisch begründete Vorhersage liefern (können). Wir untersuchen Fragestellungen, weil wir wissen wollen, wie die Antwort aussieht, und die Antwort hat keine weitere Funktion als eben die Antwort auf die Fragestellung zu sein. Fragestellungen entstehen oft aus praktischen Erfordernissen heraus und bekommen ihre Bedeutung dadurch, dass sie helfen, praktische Probleme zu lösen oder zumindest zu deren Lösung beizutragen.
VonHypothesen wollen wir dagegen wissen, ob wir sie als wahr oder falsch betrachten sollen. Hypothesen sind aus Theorien logisch abgeleitete Vorhersagen. Empirische Hypothesen sind aus Theorien logisch abgeleitete Vorhersagen über beobachtbare Sachverhalte. Dadurch, dass Hypothesen aus Theorien logisch hergeleitet sind, liefern uns Erkenntnisse darüber, ob wir eine Hypothese als wahr oder als falsch betrachten sollen, nicht nur Informationen über die (vermeintliche) Wahrheit oder Falschheit der Hypothese, sondern auch über die Gültigkeit der Theorie, aus der die Hypothese logisch abgeleitet wurde.
Wie weiter oben schon erwähnt, lassen sich Theorien als Systeme logisch aufeinander bezogener Aussagen verstehen. Ist eine Theorie gültig, d. h. die in ihr vorkommenden Aussagen sind alle wahr, so muss eine logisch aus der Theorie folgende empirische Aussage (eine empirische Hypothese) auch wahr sein. Finden wir nun Daten (d. h. Variablenausprägungen), die uns zu dem Schluss führen, die empirische Hypothese sei nicht wahr, so können wir schlussfolgern, dass die Theorie so nicht gültig sein kann. In diesem Fall werden wir uns der theoretischen Arbeit widmen, herauszubekommen, welche Annahmen aus unserer Theorie zur Ableitung der Hypothese notwendig sind, um damit die Menge der potentiell falschen Theorieteile einzuengen. Wir werden dann versuchen, für jede dieser Annahmen möglichst spezifische Hypothesen abzuleiten, um auf diese Weise herauszubekommen, welche der in unserer Theorie vorkommenden Aussagen falsch ist. Gelingt uns das, so können wir versuchen, die Theorie zu modifizieren, um sie dann erneuten empirischen Tests zu unterwerfen. Im Laufe dieses fortwährenden Prozesses von Theoriemodifikation und erneuter empirischer Testung – so unsere Hoffnung und Erwartung – nähern wir uns sukzessive immer