Teil I
Krupskajas Weg bis zur Oktoberrevolution (1869–1917)
Kindheit und Jugend in Russland und Polen
(1869–1887)
KRUPSKAJASELTERN
FORTSCHRITTLICHEERZIEHUNGIMELTERNHAUS
DIEKAMERADENDERTOCHTER
UNDDIEFREUNDEDESVATERS
DERFRÜHETODDESGELIEBTENVATERS
UNAUSLÖSCHLICHESCHULERFAHRUNGEN
BEGEISTERTVONTOLSTOI
TIMOFEIKAUNDANDEREVORBILDER
DIE„MIKROBEDERGESELLSCHAFTLICHENUNRUHE“
Krupskajas Eltern
NADESHDAKONSTANTINOWNAKRUPSKAJA kam am 26.2.1869 in St. Petersburg zur Welt. Ihre Eltern waren verarmte Adlige, die früh zu Waisen geworden waren. Ihre Mutter, Jelisaweta Tistrowa, war eine für die damaligen russischen Verhältnisse ungewöhnlich gebildete und aufgeschlossene Frau. Nadeshdas Vater, Konstantin Krupski, hatte eine Militärakademie absolviert und dann eine Tätigkeit als Artillerieoffizier und Militärjurist begonnen. Er gehörte zu den fortschrittlich denkenden Köpfen im zaristischen Offizierskorps und stand der„Narodja wolja“ („Des Volkes Wille“) nahe, einer kleinbürgerlich-revolutionären Organisation, die das zaristische Regime auf dem Wege des individuellen Terrors zu stürzen versuchte.
Einige Jahre lebte die Familie in dem Städtchen Grojec bei Warschau. Dort wurde der Vateröfter Zeuge antisemitischer Ausschreitungen. Als er dagegen Einspruch erhob, gegen die wild wuchernde Korruption vorging und dann auch noch ein Krankenhaus für die Armen gründen wollte, wurde er 1872 wegenÜberschreitung seiner Amtsbefugnisse verurteilt und als„politisch unzuverlässig“ vom Dienst suspendiert.
Damit begann für die Familie Krupski ein entbehrungsreiches Wanderleben. Der Vater nahm jede beliebige Arbeit an, war unter anderem als Versicherungsagent und Revisor in der Papierfabrik eines Freundes tätig. Doch wenn seine Vorgeschichte bekannt wurde, verlor er die gerade erworbene Stellung meist sehr schnell wieder.
Fast zehn Jahre lang wehrte er sich beharrlich gegen sein Berufsverbot, bis er schließlich im April 1880 Recht bekam. Ein großer Sieg,über den sich auch die kleine Nadeshda riesig freute.
Nadeshdas Mutter hatte eine Zeit lang als Gouvernante bei einem Gutsbesitzer in der Nähe von Krupskis Regiment gearbeitet und war dort immer wieder Zeugin der schändlichen Ausbeutung und Erniedrigung der leibeigenen Bauern geworden. Das hatte in ihr starke Sympathien für das Freiheitsstreben der Polen geweckt. Für die Bildung ihrer Tochter nahm sie sich viel Zeit, lehrte sie früh lesen und schreiben und machte sie mit fortschrittlicher Literatur bekannt. Mehrere Jahre ging das Kind nicht zur Schule, sondern wurde von ihr oder einem vierzehnjährigen Mädchen daheim unterrichtet.
Beide Elternteile besaßen literarisches Talent. Mit viel Liebe gestaltete die Mutter ein Bilderbuch in Versenüber einen Tag im Leben der kleinen Nadeshda, während sich der Vater an einem Kinderbuch zum Thema„Wie sich die Menschen fortbewegen“1 versuchte.
Fortschrittliche Erziehung im Elternhaus
Es war vor allem der Vater, der sich um die politische Aufklärung seines Kindes kümmerte. Schon früh erklärte er ihr, welche unerhörten Zustände in den Fabriken herrschten und warum er auf der Seite der Armen und Entrechteten stand. Wie er das tat, zeigt ein Vorfall aus dem Jahre 1875, als Nadeshda, sechsjährig, mit ihren Eltern in einer ausgeliehenen teuren Kutsche zu Freunden unterwegs war. An einer engen Stelle der Straße kam ihnen ein Bauer entgegen, der a