: Gina Bucher
: Ich trug ein grünes Kleid, der Rest war Schicksal Geschichten von der Liebe
: Piper Verlag
: 9783492972970
: 1
: CHF 8.00
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Was bleibt am Ende des Lebens von der Liebe? Das hat sich die junge Journalistin Gina Bucher gefragt: sie führte zahlreiche Gespräche mit Menschen zwischen 60 und 96 und lässt sie hier ihre Geschichten erzählen. Wie haben sie die Liebe kennengelernt, erlebt, gefunden und verloren? Gibt es die eine große Liebe? Wie sind sie mit Krisen umgegangen, zum Beispiel wenn der Partner fremdgegangen ist? Oder wie haben sie ihr Leben bewältigt, wenn der geliebte Mensch gestorben ist? Die bewegenden Geschichten verdichten sich zu einem Psychogramm der Lebenserfahrung. Sie geben viele kluge Antworten auf die Frage, was eine glückliche Beziehung eigentlich ausmacht, und zeigen, dass man auch mit 80 noch Schmetterlinge im Bauch haben kann! Einzigartige Liebesgeschichten, wie sie nur das Leben schreiben kann.

Gina Bucher studierte Publizistik und arbeitet als Redakteurin und freie Journalistin, unter anderem für die taz. Sie ist Herausgeberin verschiedener Bücher im Kunstbereich. Gina Bucher lebt in Berlin und Zürich.

Was ist denn eigentlich Liebe?
Cornelia Feller, 82 Jahre

Ich war immer gerne für mich alleine. Erst jetzt mit 82 Jahren vermisse ich jemanden. Ich wünsche mir eine Freundin, noch lieber einen Freund, den ich morgens unkompliziert anrufen könnte, um zu fragen: »Was machst du heute – essen wir zusammen?« Nicht einer, der ständig anrufen oder vor der Türe stehen, sondern jemand, den ich regelmäßig treffen würde. Keine Ahnung, wo man solche Männer trifft. Computer und Internet habe ich nicht, aber so würde ich sowieso niemanden kennenlernen wollen. Eher stelle ich mir vor, dass wir uns zufällig begegnen würden. Wahrscheinlich bin ich eine Romantikerin.

Zweimal war ich verheiratet. Heute frage ich mich, ob ich tatsächlich je geliebt habe. Die, in die ich mich verliebt hatte, wollten mich nicht. Und die, die mich unbedingt haben wollten, in die war ich womöglich gar nicht richtig verliebt. Ich habe mir nie Liebesfilme angesehen, die haben mich gelangweilt. Erst in letzter Zeit habe ich mir ein paar angeschaut, und sie haben mich sehr berührt. Haben mich aber auch traurig und wehmütig gemacht. Selbst wenn es in diesen Filmen oft nur darum geht, wie sich zwei Menschen begegnen. Und selten darum, was danach passiert – wenn zum Beispiel einer der beiden besitzergreifend wird. Seither frage ich mich: Was ist denn eigentlich Liebe?

Meinen ersten Mann habe ich beim Jazz kennengelernt. Ich lebte da schon länger nicht mehr zu Hause, sondern wohnte mit einer Freundin zusammen. Wann immer möglich, gingen wir tanzen. Jeans und Pulli zogen wir erst im Klub an, denn Anfang der Fünfzigerjahre trugen Frauen noch keine Hosen, sondern Rock oder Jupe. Einmal auf einem Jazzball, ich tanzte gerade zu Bebop, kam ein Mann herein. Verkleidet als Neandertaler, ein Fell über die Schultern geworfen, blieb er an der Türe zum Saal stehen und starrte mich einfach an. Ich spürte seine Blicke. Sah ihn aber kaum, weil ich nie gerne meine Brille trug. Noch am selben Abend auf der Tanzfläche sagte er mir, dass er mich liebe. Das war verrückt! Er fragte, ob wir uns wiedersehen könnten. Auf einen festen Freund hatte ich nicht so richtig Lust. Ganz im Gegenteil: Ich habe nie explizit nach einem Mann gesucht. Das Leben, das ich hatte, gefiel mir ganz gut. Ich tanzte mit verschiedenen Männern und wohnte mit einer Freundin zusammen. Gerne wäre ich Schauspielerin geworden und nach Paris gegangen, doch das traute ich mich nicht.

Dass mich einer so sehr wollte, das beeindruckte mich. Ich war gerade erst zwanzig Jahre alt, er fünf Jahre älter – er hatte aber ein Leben hinter sich, das ihn zwanzig Jahre älter machte. Er war unehelich aufgewachsen, in einem kleinen Dorf, war mit 16 Jahren von zu Hause weggegangen, landete schließlich in der Psychiatrie und bekam einen Vormund. Während unserer Ehe wurde er ein angesehener linker Schriftsteller, in meiner Generation ist er sehr bekannt. Als wir zusammenkamen, hatte er kaum Geld, nur wenig Kleider und hauste in einem winzigen Zimmer, in dem es sogar fast ein wenig stank. Er faszinierte mich. Also blieb ich. Am Anfang hatten wir lediglich, was ich verdiente. Er schrieb und begann sofort, mit einflussreichen Leuten Kontakt aufzunehmen. Dass sich unser Leben anders entwickelte, als ich mir das ursprünglich vorstellte, realisierte ich erst nach ein paar Jahren. Ich hatte mir mein Leben mit ihm anders, freiheitlicher vorgestellt: Schreiben kann er