Ein bester Freund
Wenn sich dein Ring gelb verfärbt, drückt das große Sorge und Stress aus. Achtung, jetzt sind Nerven aus Stahl gefragt!
Unten am Hauseingang wartet Tim auf mich. Sein Schulrucksack hängt lustlos über der einen Schulter, an der anderen baumelt sein schmuddeliger Sportbeutel.
„Dicke Luft bei euch oben?“, fragt er und lächelt mich aufmunternd an. Tim ist mein allerbester Freund. Seit dem Kindergarten wohnen wir im gleichen Haus. Er weiß immer sofort, wenn was mit mir nicht in Ordnung ist. Jetzt nimmt Tim meine Hand und betrachtet den Stimmungsring. Je nachdem, wie es mir geht, wechselt der Stein des Rings die Farbe. Heute glänzt er schleimig gelb: das Zeichen für Stress und megaschlechte Laune.
„Papas Neue war gestern zum Abendessen da“, erkläre ich und kicke vor Ärger eine leere Getränkedose über die Straße. „Weißt du, wie die heißt? Ja-na! Ja-na! Fällt dir was auf?“
Tim schüttelt den Kopf.
Ich bleibe stehen. „Wenn man die Buchstaben vertauscht, kommt Naja raus! Na ja. So ist die auch. So na ja. Vegetarierin. Wegen der mussten wir alle Salamischeiben von der Pizza pflücken! Bestimmt verlässt sie ihn bald und dann gibt es wieder riesiges Geheule.“
Tim grinst. „Übertreib mal nicht!“, meint er. „Vielleicht liebt sie ihn ja wirklich. Wäre doch schön!“
Der muss gerade was sagen. Als seine Mama einen neuen Freund hatte, hat Tim sich sofort Bücher über Selbstverteidigung und Abwehrtechniken besorgt. Er hat tatsächlich geglaubt, dass er in den Büchern irgendetwas zur Vertreibung von neuen Mütter-Liebhabern finden könnte. Hat er aber natürlich nicht. Heute sind sein Stiefvater und er allerbeste Freunde. Aber damals?!
„Was macht die Frau denn so?“, fragt Tim und weicht einem Fahrrad aus, das zu schnell um die Ecke biegt. „Die Neue. Hat sie einen Beruf?“
Ich zucke mit den Schultern. „Mir egal. Wahrscheinlich ist sie staatlich geprüfte Ehebrecherin.“ Die Locken-Frau ist mir wirklich schnurzegal. Meinetwegen kann sie mit Spongebob Schwammkopf in einer Wohngemeinschaft leben und als Tiefseetaucherin arbeiten. Hauptsache, sie verkrümelt sich bald wieder aus unserem Leben. Gestern habe ich jedenfalls kein einziges Wort mit ihr gewechselt.
Tim bleibt vor der großen Werbetafel neben dem Bahnhof stehen, wo in fünf Minuten unser Schulbus hält. Seit zwei Wochen klebt dort ein überdimensionales Werbeplakat: ein weißes Pferd und darauf sitzt eine zierliche Frau in einem gelb gepunkteten Kleid und trinkt Apfelsaft aus der Flasche.
Von Apfelsaft kriege ich Schluckauf. Aber Pferde liebe ich über alles. Früher, als Mama und Papa noch zusammen waren, hatte ich richtigen Reitunterricht. Aber seit der Scheidung ist das vorbei. Der Unterricht ist zu teuer und Papa hat nicht die Zeit, mich ständig mit dem Auto zum Reiterhof zu bringen.
Tim scheint meine Gedanken zu lesen.
„Wenn ich erwachsen bin und Geld habe, kaufe ich dir ein Pferd“, sagt er und knufft mich in die Seite.
„Wenn ich erwachsen bin und Geld habe, kaufe ich dir ein Meerschweinchen“, antworte ich ganz gönnerhaft.
Wir gucken uns an und brechen in schallendes Gelächter aus.
„Wie großzügig!“, sagt Tim und schultert seinen Rucksack, weil der Bus gerade um die Ecke biegt. Noch einen letzten Blick erhaschen wir auf die Reiterin mit ihrem strahlenden Schimmel.
Mit der müsste man tauschen können!
Auf einem Pferderücken über weite Wiesen und Felder galoppieren. Der Wind pfeift einem durchs Haar, und am Horizont …
Aber schon schließt sich die Bustür hinter uns, und ein weiterer öder Schultag bricht an.
* * *
„Ich bin ja so was von erledigt!“ Verzweifelt versenke ich meinen Löffel im Eisbecher und schaufle Vanilleeis in mich hinein. Tim schlürft an seinem Eiskakao. „H