Zart-Start: Hochsensible Botschaften
Sensibilität und Stärke? Das klingt nach Gegensätzen: wie Feuer und Wasser, süß und salzig oder hell und dunkel. Wie also soll das zusammengehen? Und wer gibt schon gerne zu, zart im Nehmen zu sein, wo es doch als erstrebenswert gilt, 24 Stunden am Tag verfügbar und leistungsfähig zu sein? Schwäche zeigen? Keine gute Idee. Zugegeben: Sensibel sein ist nicht gerade sexy. Oder doch? Dünnhäutigkeit gilt als unprofessionell. Und zu viele Emotionen stören, erst recht im Job. Das Leben ist kein Ponyhof. Nur die Harten kommen in den Garten. Schlafen kannst du, wenn du tot bist. Aha, so ist das also. Sonst kämen die Harten wohl auch nicht auf die Idee, Wortgeschütze wie diese abzufeuern:
•Nimm dir nicht alles so zu Herzen.
•Nun stell dich nicht so an!
•Du bist viel zu sensibel.
•Nun erzähl doch nicht so einen Quatsch!
•Mit dir ist es echt schwierig.
•Leg dir ein dickeres Fell zu.
•Lass doch mal locker.
•So ein Tüddelkram!
•Reiß dich mal zusammen.
•Du musst dich anpassen.
•Musst du immer gleich heulen?
•Nimm das doch nicht gleich so ernst.
•Ein Indianer kennt keinen Schmerz.
•Entspann dich wieder!
•Du musst mal realistischer sein.
•Spielverderber!
•Das bildest du dir nur ein.
•Warum bist du bloß so?
•Woher willst du das denn wissen?
•Du siehst Gespenster!
•Sei doch nicht so eine Mimose!
Haben Sie den einen oder anderen Satz schon mal irgendwo gehört? Oder zu jemandem gesagt? Ich kenne einige davon sehr gut – weil ich sie oft selbst gehört habe. Andere habe ich in meinen Interviews mit sensiblen oder hochsensiblen Menschen erst kennengelernt. Worte sind mächtig und in meinem Fall hatten sie tatsächlich die Wirkung von Waffen. Sie haben Wunden hinterlassen. Wenn wir solche Sätze schon in der Kindheit regelmäßig zu hören bekommen, dann machen diese Sätze etwas mit uns. Und sensible Kinder spüren, dass ihre Bedürfnisse sich von denen anderer Kinder unterscheiden.
Es ist Fasching im Kindergarten.Artur klammert sich an den Rockzipfel seiner Lieblingserzieherin. Er braucht Halt, denn heute ist alles anders. Es ist laut, alle sind aufgeregt und wuseln herum. Als dann einer der schönen roten Luftballons platzt, bekommt der kleine Junge mit den großen, wachen Augen einen Riesenschreck und fängt an zu weinen. Sein kleines Kinderleben ist gerade mächtig aus den Fugen geraten. Er versteht einfach nicht, warum die anderen Kinder Fasching so toll finden. Er wäre jetzt lieber zu Hause.
Diese Geschichte schildert eine klassische Situation, wie sie hochsensible Kinder immer wieder erleben. Wenn wir älter werden, kommen verständnislose Reaktionen und »Wortgeschütze« der anderen dazu. Und irgendwann gesellt sich zu dem Gefühl, anders zu sein, noch ein fieser Halunke – ein Kerl namens »Selbstzweifel«.
Viele hochsensible Menschen haben das Gefühl, mit ihrer Wahrnehmung allein dazustehen, denn die meisten anderen scheinen besser klarzukommen. Und dann nimmt die Entwicklung ihren Lauf: Das Selbstwertgefühl fängt an zu bröckeln. Und es mag auch dann nicht so recht wachsen, wenn wir uns in Schule, Studium und Beruf Ziele gesteckt und diese – meistens auf Umwegen – erreicht haben. Und schon gar nicht, wenn wir mal wieder das Gefühl haben, gescheitert zu sein. Und selbst wenn die Anerkennung der anderen da ist, bleibt ein fader Beigeschmack. Ich kann mir gut vorstellen, dass Menschen, die uns im Laufe unseres Lebens begegnet sind, überrascht wären, wenn sie wüssten, wie es manchmal in uns aussieht. Denn nach außen mögen hochsensible Menschen vielleicht manchmal etwas vorsichtig und zurückhaltend wirken, aber sie können dennoch selbstbe