: Hans Fallada
: Wir hatten mal ein Kind Roman
: Aufbau Verlag
: 9783841202642
: 1
: CHF 6.40
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: Hauptwerk vor 1945
: German
: 607
: kein Kopierschutz/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB/PDF
Falladas Lieblingsbuch. Seit Generationen wissen die Leute auf der Insel Rügen, dass mit den Gäntschows nicht gut Kirschen essen ist. Auch Johannes, der letzte Spross dieser Sippe, macht keine Ausnahme. Nur Christiane, seine große Liebe seit Kindheitstagen, hält zu ihm. Gäntschow aber kann nicht aus seiner Haut: Er will selbständig sein und frei. Zu spät erkennt er, dass er so auch Christiane verliert. Dieser Roman über einen kauzigen Helden und dessen merkwürdiges Glück war für Fallada sein 'schönstes, reifstes und reichstes Buch'.

Rudolf Ditzen alias HANS FALLADA (1893 Greifswald - 1947 Berlin), zwischen 1915 und 1925 Rendant auf Rittergütern, Hofinspektor, Buchhalter, zwischen 1928 und 1931 Adressenschreiber, Annoncensammler, Verlagsangestellter, 1920 Roman-Debüt mit »Der junge Goedeschal«. Der vielfach übersetzte Roman »Kleiner Mann - was nun?« (1932) macht Fallada weltbekannt. Sein letztes Buch, »Jeder stirbt für sich allein« (1947), avancierte rund sechzig Jahre nach Erscheinen zum internationalen Bestseller. Weitere Werke u. a.: »Bauern, Bonzen und Bomben« (1931), »Wer einmal aus dem Blechnapf frißt« (1934), »Wolf unter Wölfen« (1937), »Der eiserne Gustav« (1938).

ZWEITER ABSCHNITT

Die Jugendgeschichte des Helden


Solcher Art waren die Vorfahren, solcher Art war die Hofstätte des Johannes Gäntschow, der am zwölften März 1893 geboren wurde. Er war eins von vielen Geschwistern, aber, obgleich er den Hof erbte, war er weder der älteste noch der jüngste Sohn, sondern der dritte oder vierte. So genau kann man das gar nicht sagen, denn im ganzen waren es elf Kinder, die aus der Ehe des Malte Gäntschow mit der Hedwig, geborenen Düllmann, entsproßten, und da manche von den Kindern sehr früh starben, wußten, nachdem eine Reihe von Jahren vergangen war, selbst die Eltern nicht mehr so genau, das wievielte Kind ein jedes war. Nur die Schlußsumme blieb haften: elf – und wenn man bedachte, daß nur fünf Kilometer weiter ein Dorf Baumgarten lag, unterhalb des Leuchtturms von Sagitta, in dem die Leute überhaupt nie Kinder kriegten und in dem Hof auf Hof, von Generation zu Generation, ausstarb und immer wieder an entfernte Verwandte fiel, die dann auch wieder ausstarben, so kann man das Ergebnis auf Warder nicht schlecht nennen.

Und doch war es schlecht, denn als Johannes Gäntschow, achtundzwanzig Jahre alt, den Hof nach seines Vaters Tode übernahm, da war kein einziges von seinen zehn Geschwistern mehr da, das ihm den Besitz streitig gemacht hätte. Sie waren jung und älter gestorben, an Krankheiten oder Unglücksfällen, oder sie waren auch einfach abhanden gekommen, wie sein ältester Bruder Alwert – für das ganze Leben abhanden gekommen, und das war vielleicht die schlimmste Art, einem Bruder im Erbe Platz zu machen. Es war ganz, als sei aller Lebenswille der ganzen Nachkommenschaft von der Zerfahrenheit und Ziellosigkeit der geborenen Düllmann angesteckt worden. Da waren sie da, aber sie mußten nicht da sein, sie waren ganz zufällig da, und so gingen sie wieder durch Zufall ab, bei irgendeiner kleinen lächerlichen Krankheit, oder auch in einem Jauchenloch – es kam schon nicht darauf an.

Dieses letzten Falles, des mit dem Jauchenloch, erinnerte sich Johannes Gäntschow durch sein ganzes Leben sehr genau, denn damit war sein schlimmer Streit mit dem Vater verknüpft, der ihn vom Hof und in die Welt hinaustrieb. Das war in einer jener Zeiten gewesen, da sein Vater wieder einmal – zum wievielten Male! – Freundschaft mit allen seinen Nachbarn, mit denen er sich durch Jahre verstritten hatte, schloß und entweder im Kirchdorfkruge oder auf den umliegenden Höfen oder bei sich wochenlang herumtrank. Malte Gäntschow war ja sonst ein sehr pedantischer, verschlossener, wortkarger Mensch, der am liebsten ganz für sich allein lebte. Aber da war diese Frau, die immer wie ein Huhn war, das in der Küche erwischt wird und sinnlos gegen alle Wände, Töpfe, Fenster anflattert, obgleich die Tür weit offensteht. Da waren diese Kinder, die gerade anfingen, einem zu helfen und Freude zu machen, Händchen in Hand mit dem Vater aufs Feld zu laufen, und schon starben sie oder waren weg. Und da war der zweite Malte in der eigenen Brust, der da fand, es sei wirklich Einsamkeit genug auf diesen ewig umstürmten, ewig nebligen Einzelhöfen, in einem kleinen Bauernhaus, in dem es immer angeschmuddelt und unpünktlich zuging, mit verdorbenen Eßvorräten und verdorbenen Dienstmädchen. Und dann brach es aus ihm und er fühlte die Eiseskälte in der Brust, er löste die Zunge, er trank, er saß mit den anderen Bauern, gierig hörte er ihnen zu, er schwelgte mit ihnen. Goldene Welt der Gemeinschaft, aus dem klaren Korn des Schnapsglases. Guter Freund aller guten Freunde, aus dem lockeren, zitternden Schaum der Biergläser.

Dann ging er beschwingt heim, er sang, er pfiff, er wirbelte den Handstock – alles war gut. War es kalt draußen, so lief ihm eines der Kinder entgegen und bugsierte den Vater nach Haus, denn es war vorgekommen, daß Malte Gäntschow sich einfach in einen Graben zum Schlafen gelegt hatte und nach vielen Stunden Suchens halb erfroren gefunden worden war. Die Kinder taten das gerne, denn nie war der Vater zutunlicher und fröhlicher, als wenn er so angedudelt heimmarschierte. Anzumerken war ihm sonst äußerlich kaum etwas, nur eben, daß er viel redete. Er ging bolzengerade, so viel er auch getrunken haben mochte. Er war eben immer ein riesenstarker Mann.

An diesem Abend im ersten Drittel Dezember hatten die Kinder stundenlang beisammengesessen und auf den Vater gewartet. Ein paarmal war die Mutter ersch

Inhalt6
Die Urgeschichte des Helden8
Die Jugendgeschichte des Helden78
Wanderjahre des Helden257
Liebes- und Ehegeschichte des Helden311
Wiedersehen mit einer Freundin382
Wir hatten mal ein Kind492