: Alex Capus
: Léon und Louise Roman
: Carl Hanser Verlag München
: 9783446236929
: 1
: CHF 8.10
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Zwei junge Leute verlieben sich, aber der Krieg bringt sie auseinander: Das ist die Geschichte von Léon und Louise. Sie beginnt mit ihrer Begegnung im Ersten Weltkrieg in Frankreich an der Atlantikküste, doch dann trennt sie ein Fliegerangriff mit Gewalt. Sie halten einander für tot, Léon heiratet, Louise geht ihren eigenen Weg - bis sie sich 1928 zufällig in der Pariser Métro wiederbegegnen. Alex Capus erzählt mit wunderbarer Leichtigkeit und großer Intensität von der Liebe in einem Jahrhundert der Kriege, von diesem Paar, das gegen alle Konventionen an seiner Liebe festhält und ein eigensinniges, manchmal unerhört komisches Doppelleben führt. Die Geschichte einer großen Liebe, gelebt gegen die ganze Welt.

Alex Capus, geboren 1961 in der Normandie, lebt heute in Olten. Er schreibt Romane, Kurzgeschichten und Reportagen. Für sein literarisches Schaffen wurde er u.a. mit dem Solothurner Kunstpreis 2020 ausgezeichnet. Bei Hanser erschienen Léon und Louise (Roman, 2011), Fast ein bisschen Frühling (Roman, 2012), Skidoo (Meine Reise durch die Geisterstädte des Wilden Westens, 2012), Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer (Roman, 2013), Mein Nachbar Urs (Geschichten aus der Kleinstadt, 2014), Seiltänzer (Hanser Box, 2015), Reisen im Licht der Sterne (Roman, 2015), Das Leben ist gut (Roman, 2016) und Königskinder (Roman, 2018).
9. KAPITEL (S. 110-111)

Léon stieg mit seinen Erdbeertörtchen ins dritte Stockwerk hinauf. Die Treppe war frisch gewienert, der Läufer staubfrei und leuchtend rot, die Messingstangen glänzten. Er sog den Duft von Bohnerwachs ein, der ihm ein Gefühl von Ruhe, Beständigkeit und Heimat vermittelte, und lauschte dem Rauschen der Rohre im Treppenhaus und den kleinen Geräuschen aus den Nachbarswohnungen, die ihm ein Gefühl von Zugehörigkeit und Geborgenheit gaben.

Vor seiner Tür blieb er stehen. Was er da hörte, war seine Frau Yvonne, die mit ihrer hellen, ein bisschen heiseren Jungmädchenstimme eine Ballade sang.»Si j’étaisà ta place, si tu prenais la mienne…« Léon wartete, bis der Gesang verstummte, dannöffnete er die Tür. Yvonne stand im Flur in einem hellen Sommerrock, der viel zu leicht war für die Jahreszeit,und arrangierte einen Strauß Astern in einer Vase. Sie wandte sich nach ihm um und lächelte.»Endlich bist du da!

Das Abendessen steht auf dem Tisch. Der Kleine schläft schon. Ich habe mit dem Essen auf dich gewartet und eine Flasche Wein aufgemacht.« Sie nahm ihm den Teller mit den Erdbeertörtchen ab und lachteüber deren traurigen Zustand, schickte ihren Mann mit gespielter Strenge zum Händewaschen und zupfte mit einem raschen Seitenblick in den Spiegel ihre Frisur zurecht. Léon wunderte sich; das war nicht das verzweifelte, in Gefangenschaft zerquälte Wesen, das er am Morgen zurückgelassen hatte, sondern das singende und lachende junge Mädchen, in das er einst verliebt gewesen war.

»Komisch siehst du aus«, sagte sie nach dem Essen, nachdem sie in den Salon umgezogen waren, um Kaffee und die zertrümmerten Erdbeertörtchen zu sich zu nehmen.»Ist etwas passiert?«»Ich bin nach Saint-Sulpice gefahren und habe Erdbeertörtchen geholt.«»Ich weiß, das war sehr nett von dir. Dafür hast du aber lange gebraucht, nicht wahr?«»Ja.«»Mehr als zwei Stunden. Bist du aufgehalten worden?«»Ich habe dieses Mädchen getroffen.«»Was für ein Mädchen?«»Ich bin nicht sicher.«»Du bist nicht sicher? Du triffst ein Mädchen, bist aber nicht sicher und verspätest dich um zwei Stunden?«»Ja.«»Mein Lieber, das klingt, als hätten wir etwas zu besprechen.«»Ich glaube, es war Louise.«»Welche Louise?«