: Thomas Becker
: Zwischen Diktatur und Neubeginn Die Universität Bonn im ?Dritten Reich? und in der Nachkriegszeit. E-BOOK
: Vandenhoeck& Ruprecht Unipress
: 9783899715934
: 1
: CHF 70.70
:
: 20. Jahrhundert (bis 1945)
: German
: 337
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Der Nationalsozialismus hat die deutschen Universitäten nach 1933 genauso vehement erfasst wie alle anderen Bereiche des gesellschaftliche und kulturellen Lebens und sie gezwungen, sich den neuen Verhältnissen unter der braunen Diktatur anzupassen. Wie die Universität Bonn, die im katholisch geprägten Westen bis dahin keine starken nationalsozialistischen Strömungen zu verzeichnen hatte, damit umging und wie die einzelnen Fächer auf die Veränderungen reagierten, wird in diesem Band dargestellt. Der Blick auf die Auswirkungen des Nationalsozialismus bleibt jedoch nicht beim Untergang des »Dritten Reiches« stehen, sondern er geht über die angebliche »Stunde Null« hinaus in die ersten Jahre des Wiederaufbaus nach 1945. Der Band vereinigt neben grundsätzlichen Beiträgen Studien über die beiden theologischen, die medizinische und die juristische Fakultät sowie über einzelne Fächer der Philosophischen Fakultät.

Dr. Thomas Becker ist Leiter des Archivs der Universität Bonn und Lehrbeauftragter am Institut für Geschichtswissenschaft, Abteilung für rheinische Landesgeschichte.
"Der Kampf um Gerechtigkeit Zur Erneuerung der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn nach dem Ende der NS-Herrschaft (S. 253-254)

Ralf Forsbach 


Nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen in Bonn am 9. März 1945 und derÜbernahme der Militärregierung durch die Briten am 28. Mai 1945 konnte man kaum von einem Interregnum an der Universität spreche1. Rasch etablierte sich ein Kreis von Professoren aus allen Fakultäten, die sich um die Reorganisation der Universität mühten. Für die Medizinische Fakultät gehörten der Chirurg Erich von Redwitz und der Pathologe Wilhelm Ceelen der Gruppe an.

Ceelen wurde auch zum kommissarischen Leiter des Gesundheitsamtes der Stadt Bonn ernannt, schied aber nach den ersten Weichenstellungen im August 1945 bereits aus dieser Stellung aus,»um den Wiederaufbau des Pathologischen Institutes zuübernehmen«3. Eine wichtige Rolle spielte in jener unmittelbaren Nachkriegszeit zudem der Physiologe Ulrich Ebbecke, der sich um eine zügige Wiederaufnahme der Lehre und eine Normalisierung der wissenschaftlichen Kommunikation bemühte4. Schon 1947 organisierte Ebbecke den ersten Nachkriegskongress der Deutschen Physiologischen Gesellschaft in Bonn und knüpfte die internationalen Beziehungen neu5. Das wohl einflußreichste Fakultätsmitglied war aber Paul Martini, der langjährige Direktor der Medizinischen Klinik. Er nahm maßgeblich Einfluß auf die personelle Zusammensetzung der Fakultät nach dem Ende des NS-Regimes.

Denn neben der allgemeinen Reorganisation stand die Frage nach dem Umgang mit den nationalsozialistischen Dozenten im Vordergrund. Unter dem Vorsitz des Universitätsrichters Hellmuth von Weber wurde zunächst ein interner Entnazifizierungsausschuss gebildet, dessen Arbeit bis Anfang 1947 zur Entlassung von 23 Hochschullehrern führte6. Die»Entnazifizierung«, auch»Entnazisierung« genannt, ist von Anfang an mit großer Skepsis betrachtet worden, obwohl selten die Frage nach einer Alternative befriedigend beantwortet wurde7. Paul Martini, selbst Gutachter im entsprechenden Universitätsausschuss, resümierte denn auch 1948, es seien»von beiden Seiten aus unzählige Fehler gemacht worden [...], was bei einem solch grossen Verfahren […] gar nicht anders zu erwarten« gewesen sei.

»Die einen« seien»unverdient unter die Räder gekommen«,»die anderen« hätten»eine noch unverdientere Wiederauferstehung erfahren«8. Erich von Redwitz stöhnte:»Die wildesten Nazis werden zu Mitläufern erklärt, und Leute, […], die doch wirklich Widerstand geleistet haben, werden verfemt.«9 1945 hatte die Bonner Medizinische Fakultät»das Glück, sechs von den Entnazifizierungsbestimmungen nicht betroffene Ordinarien zu besitzen«, was die Wiederaufnahme der Vorlesungen erleichterte10. Im Sommersemester 1946 waren noch neun von den 17 ordentlichen Professoren im Amt, die im letzten Kriegssemester an der Medizinischen Fakultät gelehrt hatten. Dies entspricht 53 Prozent, der zweitniedrigsten Rate nach der Evangelisch-Theologischen Fakultät (37 %)– vor Katholisch-Theologischer (90 %), Philosophischer (57 %), Rechts- und staatswissenschaftlicher (64 %), Mathematisch-naturwissenschaftlicher (69 %) und Landwirtschaftlicher Fakultät (65 %)."
Inhalt7
Einleitung9
Teil 1 Universität und Nationalsozialismus13
Universitäten im ›Dritten Reich‹ Eine historische Betrachtung15
Wort Gottes in Trümmern Karl Barth und die Evangelisch-Theologische Fakultät vor und nach dem Krieg25
Die Bonner Katholisch-Theologische Fakultät im › Dritten Reich‹ und in der Nachkriegszeit61
Insel der Seligen? Der juristische Fachbereich der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich- Wilhelms- Universität Bonn zwischen 1933 und 194581
Die Medizinische Fakultät in der NS-Zeit125
Facetten der Bonner Kunstgeschichte im Nationalsozialismus143
Die Psychologie an der Universität Bonn im Nationalsozialismus161
Ein dionysischer Mathematiker Felix Hausdorff – Paul Mongré187
Teil 2 Neubeginn in Trümmern209
Stunde Null? Die deutschen Universitäten im Wiederaufbau211
Neubeginn in Trümmern Die Universität Bonn von ihrer Zerstörung bis zur Absetzung des ersten Nachkriegsrektors Heinrich M. Konen225
Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät nach der Stunde Null247
Der Kampf um Gerechtigkeit Zur Erneuerung der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn nach dem Ende der NS- Herrschaft255
» Sehr fleißig und im Examen recht gut« Displaced Persons an der Universität Bonn 1945–1950275
Zeiten des Hungers Studentischer Alltag in einer zerstörten Universität303
Der Wiederaufbau der Universitätsbibliothek323
Autorenverzeichnis337